Auf den Pflastersteinen von Mitte

Ein Besuch in der französischen Buchhandlung Zadig, die im September 2013 zehn Jahre alt geworden ist. Zadig ist die einzige französische Buchhandlung in Berlin.

Berliner Zeitung

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Patrick Suel vor seiner Buchhandlung in der Linienstraße in Berlin-Mitte

Der Berliner Comiczeichner Mawil hat eine Illustration für das Jubiläumsbuch gezeichnet. Er ist ein Freund der Buchhandlung Zadig, obwohl er nicht Französisch spricht. Aber er wohnt nun einmal im Kiez, und wenn er im Schaufenster die neuesten französischen Comics sieht, dann geht er rein und blättert ein bisschen darin. Mawil zeichnete das alte Haus Linienstraße 141, erdrückt von reklamebehängten Hochhäusern, zwischen denen selbst der Fernsehturm fast verschwindet. Unter der Lupe zeigt er, in lässiger Haltung, den Inhaber Patrick Suel auf dem Schaufenstersims. Er winkt einer Frau zu, die mit einem Baguette unter dem Arm vorbeiradelt. Suel, angelehnt an die Asterix – und – Obelix – Comics,  als letzter Widerständler gegen die Gentrifizierung von Mitte, im Jahr 2013 nach Christi.

Patrick Suel war Mitte der Neunzigerjahre nach seinem Philosophiestudium nach Berlin gekommen und hatte den leerstehenden Laden 2003 über eine Annonce in der Berliner Zeitung gefunden. Er hatte für sein Buchsortiment weiße Ikearegale gekauft, eine Ladenkasse und Bistrobänke für die geplanten Lesungen.

Seither hat sich das Mobiliar in der Buchhandlung wenig verändert. Suel hingegen hat einige Haare und ein paar Kilo verloren, aber alle Mühen haben sich gelohnt. Die Buchhandlung Zadig ist ein Treffpunkt des frankophonen und frankophilen Berlins geworden. Zadig ist neben der Buchabteilung des Lafayette die einzige französische Buchhandlung der Stadt. Suel bietet neben dem klassischen Belletristik-Sortiment Comics, Kunstbände, viele Kinderbücher, eine kleine Auswahl französischer Kochbücher und neue Werke und Romane, die in Deutschland spielen oder sich mit Deutschland und dem deutsch-französischen Verhältnis beschäftigen und an prominenter Stelle ein Regal mit politischen Schriften. Bei Zadig finden junge Autoren wie Wilfried N’Sondé, dessen Romane von der Identitätssuche junger, afrikanischer Migranten erzählen ebenso eine Bühne wie die arrivierten Herren der Berliner Sartre-Gesellschaft. Diese vielfältigen Veranstaltungen moderiert Suel, verwegen elegant gekleidet, freimütig, temperamentvoll und ganz und gar unelitär.

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Das grüne Steak

Berliner Zeitung

JoergUllmann
Jörg Ullmann

Foto ⓒ Kirstin Knufmann

Algen werden immer wichtiger. In der Medizin, in der Kosmetikbranche- und irgendwann auch in Lebensmitteln. Was sie alles können, wird in der Altmark erforscht. Dort steht der größte Fotobioreaktor der Welt

Was passiert, wenn in einer alten Schäferei fünfhundert Kilometer Glasröhren verlegt werden? Nun, es könnte sein, dass hier, im altmärkischen Städtchen Klötze, gerade über das Essen der Zukunft entschieden wird. Draußen weiden friedlich Schafe, drinnen sausen in einer Nährlösung Mikroalgen durch die Röhren, die schon bald dem Fleisch als Proteinspender ernsthaft Konkurrenz machen könnten. „Die Alge Chlorella vulgaris zum Beispiel enthält Vitamin B12, Eisen, ungesättigte Fettsäuren und bioaktive Substanzen, die in der Medizin zum Einsatz kommen könnten“, sagt der Biologe Jörg Ullmann. Ullmann ist 39 Jahre alt, geboren wurde er in einem kleinen Ort in Waren an der Müritz, studiert hat er in Leipzig und Oslo. Er ist ein Vollzeit-Forscher, der selbst im Urlaub nach seltenen Arten taucht oder in abgelegenen Gebirgsgegenden das Überleben in freier Natur trainiert. Jetzt ist er Betriebsleiter des größten Fotobioreaktors der Welt.

Sie sind überall: im Meer, an Baumrinden, in Pfützen, auf Verkehrsschildern. Und sie tragen das Potential, den Hunger in der Welt zu stillen. Weiterlesen

Himmel über Marzahn

Berlin-Marzahn ist kein Traumziel der Touristen. Doch die Pension „11.Himmel“ ist immer ausgebucht. Untergebracht in einem ganz normalen Plattenbau, wird sie von Kindern aus der Nachbarschaft betreut.

Kulturhochhaus Marzahn

Die Pension befindet sich im zehnten und elften Stockwerk eines Plattenbaus in Berlin-Marzahn, am Barnimplatz, wo das Unkraut zwischen den Gehwegplatten kniehoch wächst. Marzahn ist weder das Traumziel der Touristen noch der Wohnungssuchenden. Doch die Pension ist immer ausgebucht. Die Gäste kommen aus der ganzen Welt. Sie werden von Kindern empfangen und von Kindern bewirtet. Marzahner Kinder zwischen neun und siebzehn Jahren haben die zehn Wohnräume eingerichtet und gestaltet, nicht nach Art der Erwachsenen, die unter dem Wort Pension eine auf den kleinsten gemeinsamen Nenner deutscher Wohnkultur gebrachte Einrichtung in gedeckten Farben mit einem Fernseher mittendrin verstehen. In der Marzahner Kinderpension gibt es keinen Fernseher. Die Pension ist das Programm.

Angie sitzt auf dem riesigen Prinzessinnenbett in der Königinnensuite.  Weiterlesen

Herr von Gigantikow

Reinhard Zabka ist mit seinem Lügenmuseum nach Radebeul gezogen. Dort registriert er mehr Neugier, aber er polarisiert auch in Sachsen

Reinhard

Foto: © Amac Garbe/ Dresden/ www.ein-satz-zentrale.de

Lügenmuseum heißt der Ort, ein staubtrockener Name, der nur als Tarnung gedeutet werden kann für die Poesie dieses funkelnden, blinkenden, surrenden, singenden und klingenden Universums. Es ist, als gerate man in die eigenen Träume, als stürze man aus den Mechanismen der Zeit in ein Wunderland. Aus einem alten Koffer bläst Wind, bringt ein nacktes Lampengestell zum Erzittern, worauf ein kaltes Funkeln durch die Einweckgläser und Spiegelscherben huscht.

Das Schiff

Foto: © Amac Garbe/ Dresden/ www.ein-satz-zentrale.de

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Auf der Spur der Steine

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Foto: ⓒ Daniel Wolter

Granit – Fundort: Marzahner Promenade 44-45 (2012) vermutlich: Aland-Granit (Rapakiwi), entstanden vor ca. 1,5 Milliarden Jahren im Gebiet des heutigen Åland (Finnland)

Aus dem „Feldbuch Marzahner Promenaden Geologie“

Im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf soll ein neues Quartier für Kunst entstehen. Das Wohnungsunternehmen DEGEWO vermietet seit zwei Jahren leerstehende Läden zum Betriebskostenpreis an Nachwuchskünstler aus der Innenstadt. Sie sollen Publikum und Geschäftsleute anziehen, die große Plattensiedlung im Osten endlich aufwerten.

Der 28jährige Daniel Wolter denkt allerdings weiter in die Zukunft als den Immobilienmanagern lieb ist: „Wenn die Häuser hier wieder zu Staub zerfallen sind, und Wissenschaftler in Tausenden von Jahren den Grundriss von Marzahn freilegen, dann wird man die besondere geometrische Struktur der Stadt, die geraden Straßen und rechtwinkligen Wohnviertel, nur politisch erklären können. Das meine ich, wenn ich von der Verschränkung der Geologie mit der Politik spreche.“ Daniel Wolter beschäftigt sich mit … Weiterlesen