Kathrins Notiz-Blog 2. Dezember 08

In der Schule habe ich gelernt, dass jedes Schnee-Kristall eine andere Form hat. Nach dem Unterricht betrachtete ich die Schneeflocken auf meinem Handschuh. Es waren nicht viele, aber sie hatten wirklich jedes seine eigene Gestalt.

Künstlicher Schnee besteht nicht aus Kristallen, sondern aus winzigen Kugeln. Diese haften nicht wie die Kristalle aneinander. Deshalb kann man aus künstlichem Schnee keinen Schneeball formen. Der Mensch ist nicht in der Lage, die einzigartige Struktur des Schnees nachzubauen.
Mittlerweile stehen auf fast allen Skipisten Schneekanonen, weil der natürliche Schnee nicht mehr ausreicht.

Gestern waren der Fotograf Stephan Pramme und ich in einer Schneehalle, einer Art Tropical Island für den Winter. Von der Autobahn aus sahen wir die Halle riesig aus der norddeutschen Ebene ragen. Ihr Dach glich bereits einem Skihang. An der Vorderfront der Halle pappte eine Reihe alpiner Holzhäuschen, eine Hotelanlage für Leute, die nicht bis nach Österreich fahren wollen. Von ihren Balkonen blicken sie in das nebelige mecklenburgische Land. Ich fragte mich, ob jemals ein Mensch an so einem Ort Urlaub macht. Joladihö-DuDödelDu…

Der Hüttenzauber setzte sich im Foyer fort. Polnische Serviererinnen in schlecht sitzenden Dirndln verkauften mieses Essen. Man hatte uns an diesen grausamen Ort geschickt, um Menschen im Schnee zu porträtieren. Hier gab es zwar keinen echten, sondern nur Kunstschnee, doch echter Schnee war an diesem ersten Sonntag im Advent nirgendwo aufzutreiben.

Wir trafen eine Menge sympathischer Leute. Als hätte die Spezies, die den Ort geschaffen hat, nicht das Geringste mit den Benutzern gemein.

Jeder weiß, dass der Mensch ein widersprüchliches Wesen ist, doch räumlich hatte ich das noch nie erfahren. Gewöhnlich passen die Orte zu ihren Bewohnern. Oder Orte und Bewohner passen sich einander an. Zum Beispiel wirken Menschen in einer Kunstgalerie oder im Foyer eines Theaters behutsamer, gebildeter und besser gekleidet als in der Kaufhalle.

Die Schneehalle wurde uns durch die erfreulichen Begegnungen nicht sympathischer. Die Kluft zwischen dem Ort und den aktiven, freundlichen Menschen blieb.

Wie muss man ticken, um dafür zu bezahlen, den Sonntag an einem derart schummrig beleuchteten Ort mit katastrophalem Musikprogramm und schlechtem Essen zu verbringen? Ist Schnee ein Stoff, nach dem man süchtig werden kann? Das wäre ein mildernder Umstand. Sonst würde ich diese Menschen einfach für gefährlich halten.

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