Performance für einen Pfuhl
Makiko Nishikaze – Klangskulptur | malatsion – Skulptur aus organischem Material und Aktion
4. September 2021, 15 Uhr
Ort: Karutschenpfuhl im Garten der Leo-Borchard-Musikschule in 12169 Steglitz, Grabertstraße 4, 6 Minuten Fußweg ab S-Bahn-Station Südende. Der Eintritt ist frei. Bitte anmelden unter eklat.berlin@posteo.de
Teil II – Auf dem Weg zu einem Ort
Im August 2020 fuhr ich mit meinem Freund Philippe auf dem Usedom-Radweg. Es waren heiße, sonnige Tage. Auf dem ganzen Radweg begegnete uns kaum ein Mensch. Hinter Prenzlau fuhren wir durch mehrere verlassen wirkende Dörfer. Es gab weder Cafés noch Restaurants, auch keine Läden. Die Häuser sahen ärmlich aus. Die Straßen waren notdürftig geflickt. Nirgendwo eine Bewohner*in in ihrem Garten oder auf der Dorfstraße. Ödnis. Das Gefühl, an der Bruchkante einer Gesellschaft angekommen zu sein. Und so müssen sich die letzten verbliebenen Bewohner*innen dieser Dörfer fühlen.
Hier und da war ein hübsches Bauernhaus zu erblicken, mit Keramiken in den geputzten Fenstern, renoviert von Leuten aus der Stadt, die ihr Leben aufs Land verlegen wollen.
In einem der Dörfer fuhren wir an diesem Schild vorbei: UNSER DORFTEICH SO LEER WIE EURE VERSPRECHEN. Dieses Schild, direkt am Usedom-Radweg aufgestellt, gegenüber des vertrocknenden Tümpels, rührte mich. Ich fühlte mich direkt angesprochen. Natürlich war ich nicht gemeint, denn ich hatte den Bewohnern ja keine LEEREN VERSPRECHEN gemacht, aber ich fühlte mich aufgerufen, etwas zu tun. Wir können doch nicht zusehen, wie ein Dorfteich vertrocknet! Am liebsten hätte ich eine längere Station eingelegt. Es gab unweit so etwas wie eine Pension, allerdings ausgebucht. Obwohl ich vielen dieser kleinen Pensionen am Usedom-Radweg, die alle behaupteten, ausgebucht zu sein, nicht glaube. Wer, bitte schön, wohnt dort? Es ist kein Mensch auf der Straße, kaum ein Radfahrer. Die Ödnis der Strecke hat sich herumgesprochen. Der gewöhnliche deutsche Ökotourist bevorzugt Idyllen. Vermutlich haben die Betreiber der Pensionen einfach keine Lust mehr. Oder keine Zeit. Wahrscheinlich fahren sie täglich hunderte Kilometer zu ihrem Arbeitsort und wieder zurück.
Ich dachte wieder an die Plastiken von malatsion. Ich dachte, dass wir das Begräbnis-Ritual hier an diesem Ort durchführen sollten, für dieses sterbende kleine Biotop an der Bruchkante der Gesellschaft. Ich dachte an ein radikal ökologisches Kunstprojekt. Wer kommt, um es zu sehen, soll sich auf das Fahrrad setzen oder in den Zug. Die nächste Bahnstation ist nicht weit. Wir könnten gemeinsam mit den Dorfbewohner*innen einen Shuttle-Service einrichten. Auch die Presse fordern wir auf, das Rad zu nehmen. Okay, wir können niemanden zwingen. Wir können nur appellieren. Es ist wie mit der Impfung. Ich bin strikt gegen Zwänge. Ich bin für Bildung und Aufklärung. Gestern hat die Bundesregierung beschlossen, dass es für Ungeimpfte keine kostenlosen Tests mehr geben soll. Ich finde das schlimm. Das ist einer aufgeklärten, demokratischen Gesellschaft unwürdig. Wir müssen Menschen tragen, die sich vor dieser Impfung fürchten. Es gibt tausend Gründe, sich vor dieser Impfung zu fürchten. Das müssen wir respektieren. By the way: Ich bin geimpft und froh darüber. Ich bin glücklich, in einem Land zu leben, in dem kostenlose Tests und kostenlose Impfungen für alle bereitstehen. Und letztendlich wurde diese Mammutaufgabe fantastisch bewältigt. Aber ich hasse die Verlogenheit, zu sagen, bei uns sei alles frei und freiwillig, es gäbe hier keine Zwänge, jeder würde respektiert, so wie er ist, dann aber Regeln zu schaffen, die Menschen ausschließen, nur weil sie ein bisschen anders ticken. Anders ticken muss erlaubt sein!
Ich schweife ab. Aber alles hängt nun einmal mit allem zusammen. In diesem Jahr 2020 habe ich viele sehr gute Bücher entdeckt, die mich prägten, weil die Autor*innen den Zustand der Natur, den Zustand der Gesellschaft und den Zustand der Regierungen zusammen denken. „Das terrestrische Manifest“ von Bruno Latour beispielsweise. Oder: „Entwertung. Eine Geschichte der Welt in sieben billigen Dingen“, von Raj Patel und Jason W. Moore.
Sowohl Latour als auch Patel und Moore schreiben, dass es bei jeder politischen Entscheidung, bei jedem Krieg und jedem Börsenkurs und auch in der Entwicklung von Regionen bzw. deren Nichtentwicklung um den Boden geht, auf dem wir stehen und gehen.
Das klingt ein bisschen nach „Blut und Boden“. Gruselig. Und genau das ist das Problem. Latour schreibt: „Um zu beruhigen, müsste man zu zwei komplementären, durch die Herausforderung der Modernisierung, aber widersprüchlich gewordenen Regungen fähig sein: sich einerseits an einen bestimmten Boden zu binden und andererseits weltbezogen zu werden. Bislang galt dieses Unterfangen in der Tat als undurchführbar. Zwischen beiden, so war zu hören, muss gewählt werden. Es kann sein, dass die gegenwärtige Geschichte diesem scheinbaren Widerspruch ein Ende setzt.“
Und weiter schreibt Latour: „Es gibt im Gegenteil nichts Innovativeres, nichts, das stärker präsent, subtiler, technischer, künstlicher (im besten Wortsinn) und weniger rustikal und bäuerlich-ländlich wäre, nichts, das schöpferischer wäre und der gegenwärtigen Zeit mehr entsprechen würde, als darüber zu verhandeln, wie und wo wieder Bodenhaftung erzielt werden könnte.“
Zuvor führt Latour aus, dass die sogenannte Globalisierung von der Vielheit weg zu einer vereinheitlichten Sicht auf die Welt führte. Globalisierung wurde für einige wenige Menschen kreiert, die davon profitierten, während die Masse verarmte und alles verlor, sogar ihre Zuhäuser und ihre Identität.
Meine Idee war, alle Dorfbewohner*innen Teil der künstlerischen Performance werden zu lassen, indem wir sie in den Prozess einbeziehen. Indem wir sie bitten, Quartiere für die Gäste zu stellen und mit ihren Wagen einen Shuttle-Service zur nächsten Bahnstation zu organisieren, indem wir mit ihnen sprechen, indem wir uns ihre Geschichten erzählen lassen und diese aufschreiben.
Ich weiß, dass es schwer zu realisieren wäre. Denn für die Dörfler*innen bleiben wir intellektuelle Städter*innen, die keine Ahnung davon haben, was es heißt, an der Bruchkante der Gesellschaft zu leben. Womit sie Recht haben. Wir kommen vorbei, bringen kurz Aufruhr und Presse und verschwinden wieder. Und für den Dorfteich ändert sich nichts. Vielleicht ist es ein Vorurteil. Vielleicht sind wir doch eines Tages dort an dem vertrocknenden Dorfteich und schreiben eine neue Geschichte…
Am Ende des Sommers wieder zu Hause, bekam ich Post von malatsion. Sie hatte ihre Skulpturen inzwischen produziert. In einem Garten im Münsterland hatte sie bereits eine künstlerische Performance gemacht, mit dem gARTstipendium bei ARTLOCH Prod., Borken/Westf. Sie hatte ihre nach Pflanzensamen und Pollenkörnern geformten Plastiken in einem Begräbnisritual dem Boden übergeben. Die Lokalpresse hatte darüber berichtet. Das Foto in der Zeitung zeigt die Künstlerin in einem weißen Arbeits-Overall beim Ausheben der Löcher. Daneben stehen ihre dunklen Plastiken aufgereiht.
Wir beschlossen, eine ähnliche Performance für Berlin zu entwickeln und hier eine Geldgeber*in zu suchen. Außerdem wollten wir eine weitere Künstler*in gewinnen, mit uns zu arbeiten, um malatsions Idee einer Performance zu erweitern.
Ich hatte die Klangkünstlerin Makiko Nishikaze bei der Vernissage von Christine Düwel gesehen. In makokon arbeitet sich Makiko minutenlang – wie ein Insekt aus seinem Kokon – aus einem Papierberg vorsichtig hinaus in den Lärm der Stadt.
Makiko sagte zu, mit uns zu arbeiten.
Nachdem das Kulturamt Steglitz-Zehlendorf uns die Finanzierung des Projekts KIESEL SAND MODDER gewährt hatte, erhielten wir vom Tiefbauamt eine Absage für unsere Idee, eine Performance für die Bäke im Bäke-Park zu machen. Begründet wurde die Absage damit, dass die öffentlichen Parkanlagen im Coronajahr 2020 sehr frequentiert waren und nun jede größere Menschenansammlung in den Parks vermieden werden soll.
Aber die Leute im Grünflächenamt halfen uns, einen neuen Ort zu finden. Dieser Ort ist eine Wiese am Karutschenpfuhl im Garten der Leo-Borchard-Musikschule in Steglitz. Der Pfuhl befindet sich in einem bedauernswerten Zustand. Sein Wasserspiegel ist soweit gesunken, dass er vom Ufer nicht mehr zu erreichen ist. Die Reste eines Stegs modern im dunklen, stehenden Gewässer, das mehr einer Jauchegrube ähnelt als einem Teich. Der Teich ist völlig unbeachtet im hinteren Teil des Gartens. Verschwindet er, weil ihn niemand mehr anschaut?
Wissen die Musikschüler, die in der schönen, alten, weißen Villa ein- und ausgehen, dass hinter der Schule ein Teich ist? Ein Teich, auf dem vor nicht allzu langer Zeit Boot gefahren, in dem gebadet wurde.
„[Zwischen Karutschenpfuhl] und Hambuttenpfuhl bestand ein Teichverbund mit Wasserläufen und Brücken. Das Gelände diente dem überregionalen Ausflugsbetrieb mit Badeanstalt, Gartenlokalen und Bootsbetrieb. Die Pfühle sollen 7 Quellen gehabt haben. Insgesamt macht der Karutschenpfuhl [heute] den Eindruck eines gestörten Ökosystems.“ (Quelle: Bestandsaufnahme Stehende Gewässer II. Ordnung im Bezirk Steglitz-Zehlendorf, vorgelegt im Dezember 2004)
malatsion und Makiko bei der Besichtigung des Gartens, Juni 2020