KLASSE DAMEN! im Jahr 2019

Selbstporträt von Gertrud Spitta. 1920

Gertrud Spitta. Selbstporträt. 1920. Foto © Michael Gorkow 

Ingeborg Ruthe, langjährige Feuilleton-Redakteurin der Berliner Zeitung, war die erste Journalist*in, der sofort klar war, dass in Schloss Biesdorf eine für Berlin enorm wichtige Ausstellung entstanden ist. Ihre zweiseitige Rezension weckte die Kolleg*innen. So bekam die bemerkenswerte Arbeit der Kuratorinnen Ines Doleschal, Ellen Kobe und Karin Scheel wenigstens eine angemessene Resonanz in den großen Medien.

Um öffentliche Gelder hatte sich die Ideengeberin von „Klasse Damen!“, die Bildende Künstlerin Ines Doleschal, über ein Jahr lang vergeblich bemüht. Weder der Bund noch die Stadt Berlin hielten es für notwendig, mit einer repräsentativen Ausstellung an die Öffnung der Berliner Kunstakademie für Frauen vor 100 Jahren zu erinnern.Wieder geschah etwas in unserer Gesellschaft sehr Weibliches: Eine großartige Schau, in der Kunst von Künstlerinnen gezeigt wird, wurde überwiegend durch ehrenamtliche Arbeit ermöglicht.

„Klasse Damen!“ ist noch bis zum 13. Oktober 2019 in Schloss Biesdort zu sehen http://schlossbiesdorf.de/de/ausstellungen/aktuell/

Ich mag sehr dieses Selbstporträt von Gertrud Spitta aus dem Jahr 1920. Spitta war 39 Jahre alt, als es entstand. Ihr Blick ist der konzentrierte, strenge der Malerin, zwischen Spiegel und Leinwand wechselnd. Immer haben Maler*innen auf Selbstporträts diesen um Distanz ringenden Ausdruck, als versuchten sie, Abstand zu sich selbst zu gewinnen und gleichzeitig dicht an der Leinwand zu bleiben.

Natürlich weist der Stil des Gemäldes auf die Zeit seiner Entstehung. Aber in diesem Gesicht sehe ich das einer typischen Berlinerin von heute: Souverän. Klar. Unsentimental. Gertrud Spitta hat einen Zeitpunkt ihres Lebens festgehalten, in der die Essenz ihres Wesens sich ganz und gar in ihrer Schönheit spiegelt. Sie ist als Malerin erfolgreich. Sie gehört zur Berliner Secession. 1912 hat sie im Kunstverein Hamburg ausgestellt, gemeinsam mit ihrem Lehrer Hans Licht. Ob sie ohne ihren bekannten Lehrer dort ausgestellt worden wäre, wissen wir nicht. Wir wissen wenig über diese Künstlerin. Nur so viel: 1914 war sie auf der Großen Berliner Kunstausstellung vertreten. Arbeiten von ihr werden noch weitere drei Male dort gezeigt: 1929, 1930 und 1931. Sie malt überwiegend unter freien Himmel. Einige wunderschöne, expressionistische Ansichten Berlins sind glücklicherweise erhalten geblieben. Doch der weit größere Teil ihres Werks wurde im 2. Weltkrieg zerstört. Ich sehe Gertrud Spitta in einem langen Kleid mit der Staffelei unter dem Arm durch die Straßen laufen. Ihr Schritt ist energisch.

Sie selbst hat nicht an der Berliner Kunstakademie studiert, wie übrigens die wenigsten der in „Klasse Damen!“ erinnerten Künstlerinnen. Die Kuratorinnen entschieden, die Positionen jener Frauen zu versammeln, die sich für das Recht der Frauen auf eine Hochschulausbildung engagiert haben. Gertrud Spitta kam aus einem privilegierten Elternhaus. Sie konnte sich privaten Malunterricht leisten. Ihre Lehrer waren neben dem bereits erwähnten Hans Licht Ernst Kolbe, Otto Günther-Naumburg und Carl Kayser-Eichberg sowie Moritz Heymann in München. Sie studierte auch in der Zeichen- und Malschule des Vereins der Berliner Künstlerinnen bei Aenny Loewenstein.

Die Zeit damals glich in gewisser Weise unserer. Frauenrechte waren ein großes Thema geworden. Die damalige Bewegung gipfelte vorerst in der Einführung des Frauenwahlrechts. Heute hat die #metoo-Debatte wieder einmal die Situation der Frauen, insbesondere auch von Künstlerinnen, in den Fokus gerückt. Die Tate Modern in London zeigt 2019 in einer ununterbrochenen Reihe Künstlerinnen des 20. Und 21. Jahrhunderts. Das Musée d’Orsay erinnert gerade an die französische Impressionistin Berthe Morisot, die von 1841 bis 1895 lebte und eigentlich nur einem kleinen Kreis von Kunstkennern bekannt ist, ähnlich wie Gertrud Spitta. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass sowohl die Tate Modern mit Maria Balshaw eine Frau an der Spitze hat als auch das Museé d’Orsay mit der Geschäftsführerin Laurence des Cars. Aber auch auf dem noch immer stark männlich dominierten Kunstmarkt erreichen wiederentdeckte Künstlerinnen aller Epochen gerade neue Höchstpreise.

Frauenkunst ist en vogue.

Szenenwechsel: Eine Gruppe Künstlerinnen diskutiert in der Inselgalerie Berlin darüber, ob eine Galerie wie die Inselgalerie Berlin, die ausschließlich Kunst von Künstlerinnen zeigt, noch zeitgemäß und notwendig ist, ob sie nicht von vielen Frauen mittlerweile als stigmatisierend empfunden wird.

Ines Doleschal, die Kuratorin von „Klasse Frauen!“, ist unter den Diskutantinnen. Als Mutter dreier Kinder möchte sie vor allem auf die katastrophale Situation der Künstlerinnen-Mütter aufmerksam machen. Vor anderthalb Jahren gründete sie den Verein „Kunst+Kind Berlin“. Doleschal fordert ein Einstiegsstipendium für Künstlerinnen nach der Familienzeit, wie es das beispielsweise für Wissenschaftlerinnen gibt. Bezeichnenderweise erschien vor einigen Monaten ein Monopol-Magazin, das sich dem angeblich letzten Tabu in der Kunst widmet, dem Muttersein von Künstlerinnen. Auch diesen Lichtblick darf frau sicher der gegenwärtigen „Künstlerinnen-Welle“ zuschreiben. Dass Muttersein als Last empfunden werden kann, wird ebenfalls in „Klasse Frauen!“ thematisiert, in einem provokanten Video von Else Gabriel. Mutterschaft steht in direkten Widerspruch zu dem gängigen Klischee vom unermüdlich und einsam für seine Kunst schuftenden Genie, das natürlicherweise männlich ist.

Ines Doleschal befürchtet, dass der aktuelle „Frauen-Trend“ wieder abflauen könnte und ab dem nächsten Jahr die Männer in den großen Häusern wieder dominieren. Die Präsenz von Frauen nehme in der Hierarchie der Häuser nach oben hin kontinuierlich ab, sagt Doleschal, die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt. Sind Künstlerinnen in den kommunalen Galerien relativ gleichberechtigt neben den männlichen Kollegen vertreten, spielen sie in den großen Museen nur eine marginale Rolle. Dass das nachweislich nichts mit der Qualität ihrer Arbeiten zu tun hat, dürfte spätestens im Jahr 2019 bewiesen worden sein. Einen dieser Beweise führt Doleschal mit ihrer Ausstellung „Klasse Frauen!“ in Berlin.

Eine Künstlerinnen-Galerie sei nach wie vor notwendig, resümieren die meisten Frauen in der Diskussion. Allerdings sollte sie sich an einem zentralen Platz in der Stadt befinden und ein großes Budget bekommen, um exzellent arbeiten zu können. Dann würde keine Künstlerin es als stigmatisierend empfinden, dort ausgestellt zu werden.

Die Inselgalerie Berlin, vor 25 Jahre von Ilse-Maria Dorfstecher gegründet, wurde in Folge der Gentrifizierung der Innenstadt von einem Ort zum anderen verschoben. Aktuell bespielen die Galeristinnen eine ehemalige Sparkasse am Bersarin-Platz in Friedrichshain und kämpfen darum, von außen überhaupt als Galerie wahrgenommen zu werden, was durch den kahlen Vorplatz, der regelmäßig von Müll gesäubert werden muss, erheblich erschwert ist. Zudem müssen sie jedes Jahr aufs Neue das kleines Budget erstreiten, mit dem die Galerie am Leben erhalten wird. Müßig zu sagen, dass auch hier eine Menge ehrenamtliches Engagement drinsteckt. Dennoch ist sie mit ihrem Profil und der Förderung durch die Stadt einmalig in Deutschland. Eine kürzliche Recherche ergab, dass sie sogar ein europäisches Modellprojekt ist. https://www.inselgalerie-berlin.de

„Wir brauchen noch hundert Jahre“, sagt Ines Doleschal. „Virginia Woolf hat es vorausgesehen. Sie sagte, es würde 200 Jahre dauern, bis Frauen völlig gleichberechtigt sind. 100 Jahre sind jetzt um.“

http://www.ines-doleschal.de

 

 

 

 

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