Eine Frau. Drei Männer.

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Robi saß mit einer halben Pobacke auf der Liege für die Patienten, die Hände in den Taschen seines weißen Kittels. Ich hatte nicht damit gerechnet, ihn hier in der Notaufnahme zu treffen. Als er mich erkannte, lächelte er, wie er immer lächelt, wenn wir uns unverhofft irgendwo in der Stadt begegnen. Wenn Robi lächelt, bilden sich Grübchen in den Flächen seiner weißen Wangen und seine blauen, mandelförmigen Augen formen sich zu Halbmonden. Seit Jahren bin ich in ihn verliebt. Wie geht’s, sagte Robi und baumelte mit dem Spielbein. Gut, sagte ich. Er sah mich an und lächelte. Immer sehen wir uns an und lächeln und können nicht mehr damit aufhören.

Wie geht es dir?

Gut. Er lächelte.

Ich wusste nicht, dass du hier arbeitest.

Seit einem halben Jahr.

Gefällt es dir?

Ich bleibe nicht hier. Ich gehe in die Chirurgie. Lächelnd. Ich hatte Lust, ihn zu küssen. Er hat die schönsten Lippen, die ich je gesehen habe.

Und du? Was kann ich für dich tun? fragte Robi. Meine Knie wurden weich wie Watte. Ich musste mich auf der Patientenliege abstützen. Warum bist du hier? fragte Robi. Ich hörte auf zu lächeln. Weiterlesen

Steig auf mein Pferd!

Es kann so viel schiefgehen beim Küssen, viel mehr als beim Sex, aber wenn er die richtige Temperatur hat, geschmacksneutral und frisch ist, dann können mit einem vollendeten Kuss die wundervoll-verheerendsten Affären beginnen.

Nora Marleen. Küssende Masse

Illustration: © Nora Marleen https://noramarleen.de

Von Zeit zu Zeit treffe ich meine Freundin im Trespassers auf ein oder zwei Gläser, bei denen wir die Neuigkeiten austauschen. Seit einiger Zeit wird der Ton zwischen uns rauer. Die Themen sind andere als noch vor Jahren.

Es geht jetzt oft um Kindererziehung, Jobsuche und andere anstrengende Dinge. Außerdem platzt meine Freundin neuerdings gern mit schockierenden Geschichten raus, die sie wer weiß wo aufgelesen hat, wahrscheinlich bei den Dachpartys ihrer Firma: von Bordellbesuchen ihres Chefs, der shoppingsüchtigen Tochter einer Kollegin, einem Fahrradfahrer, der nachts durch unser Viertel fährt und Frauen Säure ins Gesicht schüttet und der Pornoseite, die unvermittelt aufploppte, als ihre zehnjährigen Zwillinge für die Hausaufgaben im Netz recherchierten. Detailliert schilderte meine Freundin alle verstörenden Details, die auf der Seite zu besichtigen waren.

Mein Eindruck ist, dass sie mir sagen möchte, wie unsicher das Leben in einer kriminellen Gesellschaft geworden ist, in der selbst die Liebe (früher unser Lieblingsthema) zu einem Business verkommen ist. In einer Welt wie dieser nämlich hat die ungemütliche Lebenspartnerschaft, an der sie seit Jahren der Kinder wegen festhält, ihre volle Berechtigung, ja, sie kann unter solchen äußeren Bedingungen geradezu als Glückstreffer gesehen werden. Ich habe ihr immer wieder geraten, ihren Freund zu verlassen. Er respektiert sie nicht und sieht nicht, was für ein wunderbarer Mensch meine Freundin ist. Vielleicht war meine Ratschläge zur Trennung etwas übergriffig, Weiterlesen

Hüterinnen des Feuers

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mona lisa 2016

Ich bin auf einer Hochzeitsfeier. Es ist ein warmer Abend. Auf der Spree ziehen Boote und Schiffe vorüber. Die Terrasse des Restaurants liegt auf Höhe des Flussspiegels. Es ist, als wären wir selbst auf einem Schiff.

Ich fühle mich ein bisschen verloren. Das Brautpaar ist beschäftigt und die meisten Gäste kenne ich nur flüchtig.

Wenn ich früher in eine Gesellschaft kam, in der ich niemanden kannte, ließ ich mich mit den Erstbesten in ein Gespräch ein und plapperte gegen die Langeweile nichtiger Themen an, bis ich völlig erschöpft war.

Heute gehe ich anders vor. Ich ziehe mich zurück und beobachte die Gesellschaft. Wenn mir jemand gefällt oder etwas hat, das mich neugierig macht, pirsche ich mich an. Weiterlesen

Das Knistern…

…der Seiten

Lesen ist wie Arbeit in einem Bergwerk, aber es erzeugt ein besonderes Geräusch. Das hat mit der Kunst des Umblätterns zu tun, und wer die beherrscht, mit dem kann man auch eine Beziehung führen

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Wird es knistern?

Bücher und Zeitschriften führen ein Leben wie andere Menschen auch. Sie haben einen Körper. Ihr Körper ist aus Papier. Er ist alles andere als totes Holz. In diesem Körper sind Bücher unterwegs. Mal liegen sie oben und mal unten. Sie bilden auch Gruppen und verlassen diese wieder, einige schneller, andere nie. Sie können Staub aufwirbeln, Risse und Quetschungen davontragen und von Milben befallen werden. Deshalb sind es keine appetitlichen Tiere, mit denen Leser verglichen werden: Bücherwurm! Leseratte! Lichtscheue Biester. Im Untergrund mit der Taschenlampe. Ja. Lesen ist wie die Arbeit in einem Bergwerk.

Aber dieses Kratzen und Schaben erzeugt ein feines Geräusch. Das Blättern klingt wie wenn etwas schleift. Wenn jemand in ein Buch oder Magazin versunken ist, durchströmt mich das Gefühl, mein Körper löse sich im Klang des Lesens allmählich auf. Gleichzeitig ist es wie eine zärtliche Berührung. Ich bewege mich nicht mehr. Ich falle aus der Zeit, genussvoll versunken in das Knistern und Rascheln der Seiten. Wird das Buch zugeklappt, ist alles vorbei.

Ich nenne es die Kunst des Umblätterns. Ein Bildschirm kann das nicht. Er flimmert. Er strengt an. Elektronische Bücher sind zwar anders. Sie flimmern nicht. Sie liegen wie eine ruhige, beleuchtete Buchseite in der Hand. Ich habe nichts gegen ebooks. Sie sind großartig für alle, die gern in der Dämmerung im Garten oder auf dem Balkon lesen, eine Erleichterung für Menschen, die mit viel Lesestoff reisen müssen und wunderbar für ältere Leute, denen dicke Wälzer beim Lesen im Bett zu schwer sind. Ihr Versuch zu knistern ist allerdings erbärmlich.

Die Kunst des Umblätterns ist eines der sinnlichen Vergnügen, die allein unmöglich sind. Denn ein anderer muss für mich blättern. Ich kann nicht gleichzeitig lesen und das Knistern der Seiten genießen. Es ist eine Frage der Konzentration. Weiterlesen

Liebe ist das neue Schwarz

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Die Karte entdecke ich bei meinem ersten Besuch in dem süßen Papierwarengeschäft, das neulich hier aufgemacht hat. „Love is the new black“, steht darauf, in einer Schrift, die sympathisch ungelenk wirkt, als hätte jemand mit zittriger Hand die Buchstaben gemalt oder als hätte ein Kind sie aus Papier ausgeschnitten, die Zunge zwischen den Lippen. Liebe ist das neue Schwarz. Ein rätselhaft schöner Spruch. Er assoziiert die Wiederkehr des Hippie-Gefühls. Liebe hat Konjunktur. Das Wort wird gerade mächtig in der Werbung strapaziert. Es klebt an Schaufensterscheiben und steht in rostigen Lettern zum drauf rumklettern vor einem Theater. In REVOLUTION Weiterlesen