Liebe ist das neue Schwarz

love

Die Karte entdecke ich bei meinem ersten Besuch in dem süßen Papierwarengeschäft, das neulich hier aufgemacht hat. „Love is the new black“, steht darauf, in einer Schrift, die sympathisch ungelenk wirkt, als hätte jemand mit zittriger Hand die Buchstaben gemalt oder als hätte ein Kind sie aus Papier ausgeschnitten, die Zunge zwischen den Lippen. Liebe ist das neue Schwarz. Ein rätselhaft schöner Spruch. Er assoziiert die Wiederkehr des Hippie-Gefühls. Liebe hat Konjunktur. Das Wort wird gerade mächtig in der Werbung strapaziert. Es klebt an Schaufensterscheiben und steht in rostigen Lettern zum drauf rumklettern vor einem Theater. In REVOLUTION Weiterlesen

Rosa, draußen vor dem Café

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Illustration © Cristóbal Schmal

Er stößt sich mit seinen zerrissenen Chucks von der Wand ab und trudelt am Seil einmal um die eigene Achse, dass die Ringel seiner bunten Wollmütze wie ein verrückt gewordener Lolli kreiseln. Jetzt schwingt er rüber zum nächsten Fenster.

Die beiden anderen über ihm sitzen in festen Gurten und putzen, was das Zeug hält. Interessiert die wohl gar nicht. Der mit der Lollimütze klatscht Seifenbrühe an die Scheibe und streift sie in fast waagerechter Lage ab. Grünes, geripptes Unterhemd und Jeans. Die Muskeln glänzen. Verflixt schwierig, ihn zu skizzieren, so schnell ist er. Jetzt richtet er sich im rechten Winkel zur Wand auf, hält einen Finger an die Mütze und grinst. Breite Wangenknochen und schwarze Augen. Ich bin die einzige, die ihm zuschaut. Niemand sonst bleibt stehen. Kommen eh nicht viele Leute vorbei und wenn, dann gucken sie, als seien sie hier falsch. Die Gegend wirkt wie ein Niemandsland. Alles ist neu: Das Hotel, das Café, die Gehwegplatten, die kleinen Bäume in ihren frischen Gittern. Ringsum Baustellen, hinter Bretterzäunen, drauf die Namen: Bikini und Upper West. Läden und Büros. Der Ort fühlt sich nackt an.

Melanie hat gesagt, dass ich mich ins Cafe setzen und was essen soll. Ich bleibe aber lieber draußen. Ich bin eher der Typ, der draußen bleibt und guckt, was abgeht. So war ich schon immer. Ich habe auch schon immer   Weiterlesen

Die Balance des Glücks

Thalheim by Ali Ghandtschi

Der Berliner Filmemacher Robert Thalheim

Foto: © Ali Ghandtschi

Seit dem 14. November läuft „Eltern“ im Kino. Eine Begegnung mit dem Regisseur.

Robert ist Künstler, Konrad auch. Robert hat zwei Kinder. Konrad auch. Robert und Konrad möchten viel Zeit mit ihren Kindern verbringen. „Nicht nur so ein arbeitender Satellit da draußen sein“, sagt Robert.

Wie macht Mann das heute? Robert Thalheim erzählt in seinem neuesten Film „Eltern“ von Konrad, der nach einigen Jahren als Hausmann wieder ins Berufsleben einsteigen möchte, und davon, was für Turbulenzen das in seiner Familie auslöst. Konrad ist Robert Thalheims Alter Ego. Der Filmemacher und sein Held sehen sich sogar ein bisschen ähnlich. Beide wirken gemütlich und stabil. Aber sie fühlen sich nicht immer so. Auch Robert Thalheim war ein halbes Jahr in Elternzeit, nach der Geburt seines ersten Kindes. Beim zweiten Kind entschied er, das nächste Drehbuch zu schreiben, statt wieder in Elternzeit zu gehen. An dieser Stelle laufen die Lebenslinien von Konrad und Robert auseinander. Aber der Anspruch, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, verbindet sie.

Dass es Thalheim zurück in den Job trieb, hing mit seinen Weiterlesen

Großmutters Haar (für Omi Antje)

Am 9. September wäre meine Lieblingsomi 95 Jahre alt geworden. Sie starb in einer Winternacht vor zwei Jahren. Sie fehlt mir noch immer. Sie war eine weise Frau, eine schöne Frau. Sie liebte meine Texte im Magazin der Berliner Zeitung und war enttäuscht, wenn wieder ein Wochenende ohne einen meiner Artikel begann. Sie hat sich mit meinen Gedanken, Ideen und Zielen auseinander gesetzt wie keine zweite Freundin. Sie war meine beste Freundin.

Sie empfahl mir, große Ketten zu tragen, so wie sie immer große Ketten über ihren schlichten Wollpullovern getragen hatte. Doch ihr Rat meinte mehr: Er meinte, dass ich stärker, raumnehmender, auffallender agieren sollte. Ein Jahr nach ihrem Tod habe ich mir eine lange, große Kette aus gelben Holzperlen gekauft.

Eigentlich war sie gar nicht meine Großmutter, sondern die Großmutter von Stefan Schrader, mit dem ich eine Zeitlang verheiratet war. Und sie war die Urgroßmutter unserer gemeinsamen Tochter Selma. Die Verbindung zu ihr ist nie abgerissen. Sie wurde mit den Jahren immer stärker.

Für sie habe ich diese Geschichte geschrieben.

Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht (2009)

Großmutters Haar

In dieser Nacht schien der Mond so hell, dass die Schornsteine Schatten aufs Dach warfen. Ich wollte die Spätsommernacht über der Stadt genießen, von oben aus einer anderen Perspektive auf mein Leben blicken, nichts bewerten, sondern spüren, was war und ist, und vor allem: Vincent nicht anrufen. Die Dachpappe stachelte meine nackten Beine.

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Kathrins Notiz-Blog 20. Juli 12

© Illustration Liane Heinze

Leon und ich, wir sind beide überzeugt von der Macht und dem Karma der Dinge. Allerdings fürchte ich mich nicht vor der Macht der Dinge, aber Leon scheut sich, gebrauchte Möbel zu kaufen, schon gar keine Polstermöbel, die mit den Energien fremder Orgasmen und Streitigkeiten aufgeladen sind. Aus Respekt vor Leon und dem Geheimnis, das uns verbindet, schlafe ich mit Kolja niemals in unserem Bett. Weiterlesen