Zeitreisen in Dessau. Teil II
In den Bauhaus-Meisterhäusern mit einer Spanienkämpferin, Amor Muñoz, Andrea Canepa und Sebastian Stumpf
Im Bauhaus Dessau
Ich hatte nicht erwartet, dass die Meisterhäuser des Bauhauses so altmodisch patriarchalisch auf mich wirken. Die Räume, Türrahmen und Treppenhäuser sind eng. Wieso erinnern mich die Betten und Schränke an Krankenhäuser?
Das Tee-Geschirr in der hochbeinigen, gläsernen Vitrine im Feininger-Haus ruft die Erinnerung an eine Einladung zum Tee bei einer älteren Dame hervor. Das war in den Achtzigerjahren. Sie lebte in Dresden. Sie wohnte in den typischen Holzmöbeln der Hellerauer Werkstätten, die ich auch aus meinem Elternhaus kannte. Eine schmale, unaufgeregte Frau mit kurz geschnittenen, halblockigen Haaren. Über der weißen Bluse trug sie ein Wolltuch und eine Holzkette. Sie hatte in Spanien mit den Internationalen Brigaden gegen Franco gekämpft. Ihre Wohnung war gemütlich. War sie eng und klein?
Ich hatte mir das Bauhaus so erdacht. Wie diese Frau. Wie diese Generation. Mit dem Geruch nach Freiheitskampf und Exil. Aber ich rieche nichts.
In das neu erbaute Gropius-Haus wurden Milchglasfenster statt klarer Scheiben gesetzt, weil die Verwalter des UNESCO-Kulturerbes verlangen, dass sich die neu geschaffene Bausubstanz von der erhaltenen, alten durch irgendein äußeres Merkmal unterscheiden muss. Das Haus aus Beton und Milchglas ist nicht dunkel, es ist dicht. Die Blicke haben Stubenarrest.
Zwei-, dreimal stehe ich vor kleinen, verschlossenen Türen, die an Bunker erinnern. Ich zögere, sie zu öffnen, obwohl ich notorisch neugierig bin und gewöhnlich an allen Türen klinke. Diese erschrecken mich. Der Schmutz um die Knäufe verrät, dass viele Menschen ein- und ausgehen. Ich fasse also Mut und ziehe an den Knäufen und bin jedes Mal überrascht, nicht in einen finsteren Keller oder Kühlraum zu stürzen.
Eine der Bunkertüren führt in die Gegenwart. Dort gefällt es mir besser. Es werden die Arbeiten der KünstlerInnen gezeigt, die in den Meisterhäusern als ResidenzlerInnen zu Gast waren. Sie kommen aus der ganzen Welt.
Die Mexikanerin Amor Muñoz hat aus feinen Drähten leitfähige Geflechte angefertigt, die in ihrer Struktur an Bauhaus-Webmuster erinnern. Sie geben Ton- und Licht-Signale von sich. Winzige Lämpchen glühen und verglühen im Morse-Rhythmus, den Sound überträgt ein Kopfhörer. Hinter den Licht- und Ton-Signalen verbirgt sich ein Code, den die Künstlerin entwickelt hat und auch in schwarz-weiße Wandteppiche gewebt hat. Die Arbeit ist eine Hommage an die Bauhaus-Weberin Anni Albers. „Matter and Memory“ hat Amor Muñoz diese Arbeit genannt. Sie bezieht sich auf aus Textilien gefertigte Computerspeicher der 50er- und 60er-Jahre und zugleich auf Anni Albers Interesse an ideografischen Zeichen und linguistischen Ordnungssystemen in präkolumbischen Textilien.
Angeregt von Oskar Schlemmers Farben- und Formen-Tänzen hat Andrea Canepa aus Peru Bodenmuster entwickelt, die Dreieck, Kreis und Quadrat symbolisieren. Auf diesen drei Installationen bewegen sich Tänzer. Sie folgen den Mustern auf dem Boden, suchen Möglichkeiten, die Formen mit dem eigenen Körper nachzuvollziehen, aber nicht nur das. Sie nehmen auch den Charakter und die Energie der Formen auf und drücken sie tanzend aus.
Andrea Canepa hat schon vor dieser Arbeit, die sie „Until it lives in the muscle“ nennt, intensiv am Verhältnis zwischen Ordnungsstrukturen und Spontaneität in Tanz und Bewegung geforscht. Das Video im Gropius-Haus ist Teil eines größeren Werkkomplexes.
In einem schmalen Gang zwischen Betonwänden, einer Art Sackgasse im Haus, steht ein Monitor vor einer Wand. Der Film zeigt eine Spinne, die vor einem Fenster hängt. Die Kiefern hinter der Spinne verraten, dass sie sich in einem der Meisterhäuser aufhält. Es ist ein ruhiges, meditatives Bild. Ich hocke mich in den Schneidersitz und schaue der Spinne zu. Kurz darauf sind Ameisen zu sehen, die über die Terrasse des Hauses trippeln, scheinbar suchend, tastend. Ein Maikäfer brummt gegen das erleuchtete Nachtfenster. Seine hübschen Fächerfühler und die großen Augen sehen freundlich aus. Er klopft an die Scheibe, er sucht Kontakt zu dem Künstler im Haus. Ein Tausenfüßler folgt exakt der Linie des Fußes eines Stahlrohrstuhls, bis er auf den Filzteppich klettert, trotz seiner vielen Beine auf die Seite kippt, wieder aufsteht und weiterläuft. Feuerwanzen organisieren den Transport eines großen Holzstücks vor dem Haus. Wieder fällt eine Spinne ins Bild, kleiner als die erste, zappelt sie an ihrem Faden, krümmt bizarr ihre Beine. Diese Bilder sind ungewöhnlich schön, auch wegen der ästhetischen Kulisse, vor der sich die Insekten bewegen. Die feinen Risse einer hellen Betonwand. Harmonierende Farbstreifen aus Putz und Lackierungen. Das Doppelfenster. Die hohen Kiefern im Garten. Eine Kaffeemaschine zischt friedlich neben der Spinne. Es knistert irgendwo. Wind weht. Sonst ist es still. In den Tieren entdecke ich mich selbst wieder, in meinem Tasten und Suchen, meinem Umfallen und wieder Aufstehen, dem Umherirren und Flattern. Genauso sind wie wir Post-Post-Post-Modernen.
Sebastian Stumpf hat die Insekten in seiner Meisterwohnung gefilmt. Er hat bereits viele gute Filme gemacht, aber ich habe ihn hier erst entdeckt. Wir werden sicher noch von ihm hören und sehen.
https://www.bauhaus-dessau.de/de/programme/bauhaus-residenz/sebastian-stumpf.html
Die Autorin nach dem Besuch der Dessauer Meisterhäuser