Was ist Mühle, was Kunst?

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Die Grenzen fließen. Schließlich war das Mühlenhandwerk eine Kunst, wie wir an dem Gebäude, den alten Handwerkzeugen und Mechaniken der Wassermühle sehen können.

Zum Träumen schön ist das Getreide in der Bodenvase und in der Videoinstallation von Karl Böttcher. Hart war der Alltag in der Mühle, teuer das Brot. Sie wurde von Zisterzienser-Mönchen betrieben, die Mönchmühle im Mühlenbecker Land. Heute klippern und klappern Ehrenamtliche am Bach, der nicht gerade rauscht, aber kleckert und machen, dass der Elevator wieder rumpelt, die Dielen knarren und Geister ein- und ausfliegen können, für das Leben und die Kunst.

Zehn Künstler haben dem Fachwerk-Gehäuse nachgespürt und zeigen nun Arbeiten, die sich um die Mühle und das Getreide drehen und alle die anderen Dinge um die Mühle herum, wo jederzeit alles geschehen kann.

Noch bis zum 3. Oktober 2016 jeden Sonntag von 14-17 Uhr ist die Ausstellung „Ma(h)lwerke“ in der Mönchmühle geöffnet.

Die beteiligten Künstler sind Viola Bendzko, Karl Böttcher, Andrea Brabetz, Gerd Breidenstein, Burghild Eichheim, Gertraude Kremers, Johannes Lacher, Marita Liiten, Gabriela Wüsten-Liederwald und Guiliana Del Zanna

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Dunkle Spiegel

Die Ausstellungen KUSHTI ATCHIN TAN? – EIN GUTER ORT? von Delaine Le Bas und DARK GLASS von Daniel Baker in der Galerie Kai Dikhas am Moritzplatz

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Daniel Baker „charm series (globe) 2013, Blattsilber und Emaille auf durchsichtigem Acryl

Auf meinem Schreibtisch liegt eine Kunstpostkarte. Sie zeigt eine Weltkugel als Schlüsselanhänger. Der mit Silberfolie beschichtete Hintergrund erinnert an einen dunklen Spiegel. Ein Spiegel mit schwarzen Flecken am Rand, ein alter Spiegel. Der Schlüsselanhänger mit dem Globus scheint darüber zu schweben. Die Erde ist am Nordpol angekettet und mit einem silbernen Ring verbunden, zum An-das-Schlüsselbund knipsen.

Wenn ich ins Büro komme und meinen Laptop auf den Tisch lege und all die anderen Gegenstände, die ich für den Arbeitstag brauche: Kalender, Telefon, Brille, Stift und Notizbuch, sehe mich selbst in dem Spiegel, ein bisschen unscharf und verzerrt. Aber ich schaue die Karte lieber so an, dass sich statt meines Gesichts nur die Zimmerdecke darin spiegelt. Dann lenkt mich nichts von der Weite ab, die der Spiegel erzeugt. In seinem dunklen, nostalgischen Glanz spiegelt sich mein Fernweh, meine Lust, eine unbekannte Welt zu betreten und darin auf Entdeckungsreise zu gehen.

Der britische Künstler Daniel Baker hat dieses Bild gemalt. Es ist gerade in seiner Ausstellung DARK GLASS in der Galerie Kai Dikhas im Aufbauhaus am Oranienplatz zu sehen.

Daniel Baker beschäftigt sich schon lange mit Spiegeln als künstlerischen Gestaltungsmittel. Das hat wahrscheinlich mit seiner Herkunft zu tun. Er ist ein Kind britischer Traveller, ein Gypsy. Er ist zwar in einem festen Haus geboren, aber nur, weil die Wohnwagensiedlung, in der seine Eltern lebten, kurz vor seiner Geburt abgerissen wurde.

Daniel ist ein Intellektueller mit britischem Understatement und einer faszinierenden Ausstrahlung. Er hat eine Doktorarbeit über „Gypsy Aesthetics“ geschrieben. Er hat sich darin auf die Suche nach dem genetischen Code der Kunst der Romani gemacht. Baker sagt, der Begriff Kunst sei den Fahrenden eigentlich fremd, dabei hat ihr Alltagsleben etwas Entscheidendes mit der Kunst gemein. Genau wie in einem Kunstwerk haben im nomadisierenden Alltag alle Gegenstände eine Funktion. Diese bestimmt ihren Wert. Sie werden mit Ornamenten versehen, sind oft stark farbig oder glitzern. Gern werden sie in Spiegelschränken präsentiert, damit der Betrachter sie von allen Seiten sehen kann.

Mit DARK GLASS präsentiert er in Berlin seine neuesten Arbeiten, in denen die „Lucky charms“ – die Glücksbringer als Schlüsselanhänger, im Mittelpunkt stehen. Sie waren eine beliebte Ware der Fahrenden in seiner Heimat.

DARK GLASS – bis zum 6. Juni 2015 in der Galerie Kai Dikhas in der Prinzenstraße 84.2 im neuen Anbau des Aufbauhaus am Moritzplatz

Die Installation KUSHTI ATCHIN TAN? – EIN GUTER ORT? von Delaine le Bas befindet sich noch bis zum 16. Mai im 3. Und 4. Obergeschoss des neuen Aufbau-Hauses, in den künftigen Räumen der Berliner Niederlassung des Dokumentationszentrums Deutscher Sinti und Roma.

Ich habe mich wie ein Voyeur gefühlt, als ich die Installation der berühmten Gypsy-Künstlerin betrat. Weil Delaine Le Bas sehr persönliche Gegenstände zeigt, in einer farbigen Welt, die auf den ersten Blick Gypsy-Romantik versprüht. Zugleich spürte ich, wie extrem zerbrechlich diese Behausung ist. Delaine hat durch die dünnen, schiefen Zeltwände, durch Stoffe und Spitze den Eindruck von Fragilität erzeugt. Liegengelassenes könnte das Zeichen einer Flucht sein. Und je länger dieser Raum auf mich wirkte, desto krasser entpuppte er sich auch als Ort des Schreckens und der Angst.

http://www.kaidikhas.de/de

Daniel Moritz und Delaine

Foto © Uwe Gero

Daniel Baker, Moritz Pankok (künstlerischer Leiter von Kai Dikhas) und Delaine Le Bas beim Artist talk am Vorabend der Vernissage

 

In einem Bäckerladen in Mitte

Ansichtskarten aus Deutschland

Das Foto ist aus meiner Serie „Ansichtskarten aus Deutschland“ – hier: Berlin-Mitte

Ich verbringe die Mittagspause in einem Bäckerladen in Mitte. Am Nebentisch sitzen fünf Personen unterschiedlicher Herkunft, die miteinander deutsch sprechen.

Sie suchen sich ein Phänomen zu erklären: Die Deutschen. Keineswegs abfällig, sondern respektvoll, erstaunt. Die Polin spricht über einen Aufenthalt in Skandinavien, wo die Leute noch viel reservierter seien als in Deutschland. Ein Mann, dessen Akzent ich nicht verorten kann, meint, die Leute in Osteuropa seien anders als die Deutschen. Die Familie spiele dort eine größere Rolle. Der arabische Mann erzählt, wie er einmal in Berlin im Krankenhaus war und sein Bettnachbar keinen Besuch von seinen Kindern bekommen hat, weil die in den Urlaub gefahren waren. „Das wäre bei uns undenkbar, dass wir in den Urlaub fahren, wenn die Eltern im Krankenhaus liegen“, sagt er. Der Spanier erzählt von den wöchentlichen Familientreffen bei seiner Oma, die er in wundervoller Erinnerung hat. Der dritte Mann vertritt die These, dass es am Wetter in Deutschland liegt. Die beiden Polinnen geben ihm Recht. Aber Polen ist doch genauso dunkel und kalt, denke ich. Am liebsten würde ich mich einmischen.

Dann beginnt sich ihr Gespräch um Krieg und Religion zu drehen. Sie dämpfen ihre Stimmen und stecken die Köpfe dichter zusammen. Ich bin draußen und fühle mich ein bisschen verlassen.

Porträt von Andrea Vollmer

© Andrea Vollmer

Die Autorin im Café nach dem Belauschen der anderen

 

 

25 Jahre Mauerfall oder: Stehlampen für alle!

Berlin Rosenthaler Platz

Das hat die Berliner mal wieder überrascht: Dass jemand in die Stadt kommt und wissen will, wo die Mauer gestanden hat! Und dass jemand und jedermann sogar freiwillig entlang der Lichtgrenze mehrere Kilometer läuft! Damit hatte man wirklich nicht gerechnet. Die Jogger waren empört, dass Fremde auf ihre Parkwege drängen. Allgemeines Unverständnis, als ein Radfahrer in der Schönhauser Allee nach der East Side Gallery fragte. Und erst die Familie aus Südbrandenburg, die in der S-Bahn bei jeder Station rätselte, ob das nun Osten oder Westen ist!

Was für ein seltsames Jubiläum das war! Eine ernste, brave Masse schob sich auf dem von Townhouses und BND-Festung um etliche Meter versetzten Mauerweg, stand ehrfürchtig vor Schaukästen und Videowänden, auf denen schwülstige Dokus liefen. Kein Straßenmusikant, keine Stelzenläufer, Seiltänzer, Performer und Zauberkünstler, wie sie sonst am Rand großer Feste und Paraden das eigentliche Berlin vertreten? Kein Aktivist mit einem Aufruf zur Revolution.

Nach dem schnellen, blassen Verschwinden der Ballons im Nachthimmel hatten die Berliner nur noch eins im Sinn: Das Wasser aus den Lampenfüßen auf den Fußweg oder die Brücke kippen und die Gestelle flink Huckepack nach Hause tragen. Wann stehen denn schon mal Lampen einfach so zum Mitnehmen auf der Straße? So hatten 25 Jahre Mauerfall am Ende doch was Gutes.

Berlin Rosenthaler Platz, die U-Bahn fährt ein

Die Platte bricht

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Marzahn rückt immer näher. Jetzt fährt man zur Alten Börse nur noch mit der M8 die Allee der Kosmonauten rauf, bis zur Beilsteiner und dann geht’s zehn Fußminuten zwischen Einfamilienhäusern und zukünftigen Stadtvillen hindurch bis zur Alten Börse Marzahn, die mal Scheune und Pferdeställe hatte, wo jetzt Künstler wohnen, die Ausstellungen organisieren und Bezirkspolitiker ihr Büro mit Garten davor haben, und Bier gebraut und gefeiert wird.

Gestern Abend hat Juliane Witt vor dem Zeitgut zum Sommerabschluss-Lagerfeuer eingeladen. Bezirkspolitiker, Künstler und andere Marzahner Macher waren versammelt. Konditoren aus Alt-Marzahn hatten leckere Törtchen mitgebracht. Die Stimmung war ein bisschen wie ganz früher, als man auf Holzbrettern über den Matsch in der Kulturbrauerei lief.

Die Platte bricht. Damit meine ich nicht die Häuser, sondern das Bild vom Leben in Marzahn, das sich in den Köpfen eingenistet hatte und da schwer wieder raus zu kriegen ist.

In der Alten Börse Marzahn stellten kürzlich bemerkenswerte Künstler aus. Am 17. und 18. Oktober findet dort das überhaupt allererste internationale Percussionsfestival der Welt statt, mit Workshops, einem Musikflohmarkt und jeder Menge Trommelei natürlich.

Am Samstag, 16 Uhr stellen Künstler das U-Bahn-Projekt „Was ist draußen?“ in der station urbaner kulturen am U-Bahnhof Kaulsdorf Nord vor. www.kunst-im-untergrund.de ist ein Projekt der neuen gesellschaft für bildende kunst www.ngbk.de, die in Kreuzberg ansässig ist und jetzt auch am Cecilienplatz in Marzahn!

http://alte-boerse-marzahn.de/