Dunkle Spiegel

Die Ausstellungen KUSHTI ATCHIN TAN? – EIN GUTER ORT? von Delaine Le Bas und DARK GLASS von Daniel Baker in der Galerie Kai Dikhas am Moritzplatz

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Daniel Baker „charm series (globe) 2013, Blattsilber und Emaille auf durchsichtigem Acryl

Auf meinem Schreibtisch liegt eine Kunstpostkarte. Sie zeigt eine Weltkugel als Schlüsselanhänger. Der mit Silberfolie beschichtete Hintergrund erinnert an einen dunklen Spiegel. Ein Spiegel mit schwarzen Flecken am Rand, ein alter Spiegel. Der Schlüsselanhänger mit dem Globus scheint darüber zu schweben. Die Erde ist am Nordpol angekettet und mit einem silbernen Ring verbunden, zum An-das-Schlüsselbund knipsen.

Wenn ich ins Büro komme und meinen Laptop auf den Tisch lege und all die anderen Gegenstände, die ich für den Arbeitstag brauche: Kalender, Telefon, Brille, Stift und Notizbuch, sehe mich selbst in dem Spiegel, ein bisschen unscharf und verzerrt. Aber ich schaue die Karte lieber so an, dass sich statt meines Gesichts nur die Zimmerdecke darin spiegelt. Dann lenkt mich nichts von der Weite ab, die der Spiegel erzeugt. In seinem dunklen, nostalgischen Glanz spiegelt sich mein Fernweh, meine Lust, eine unbekannte Welt zu betreten und darin auf Entdeckungsreise zu gehen.

Der britische Künstler Daniel Baker hat dieses Bild gemalt. Es ist gerade in seiner Ausstellung DARK GLASS in der Galerie Kai Dikhas im Aufbauhaus am Oranienplatz zu sehen.

Daniel Baker beschäftigt sich schon lange mit Spiegeln als künstlerischen Gestaltungsmittel. Das hat wahrscheinlich mit seiner Herkunft zu tun. Er ist ein Kind britischer Traveller, ein Gypsy. Er ist zwar in einem festen Haus geboren, aber nur, weil die Wohnwagensiedlung, in der seine Eltern lebten, kurz vor seiner Geburt abgerissen wurde.

Daniel ist ein Intellektueller mit britischem Understatement und einer faszinierenden Ausstrahlung. Er hat eine Doktorarbeit über „Gypsy Aesthetics“ geschrieben. Er hat sich darin auf die Suche nach dem genetischen Code der Kunst der Romani gemacht. Baker sagt, der Begriff Kunst sei den Fahrenden eigentlich fremd, dabei hat ihr Alltagsleben etwas Entscheidendes mit der Kunst gemein. Genau wie in einem Kunstwerk haben im nomadisierenden Alltag alle Gegenstände eine Funktion. Diese bestimmt ihren Wert. Sie werden mit Ornamenten versehen, sind oft stark farbig oder glitzern. Gern werden sie in Spiegelschränken präsentiert, damit der Betrachter sie von allen Seiten sehen kann.

Mit DARK GLASS präsentiert er in Berlin seine neuesten Arbeiten, in denen die „Lucky charms“ – die Glücksbringer als Schlüsselanhänger, im Mittelpunkt stehen. Sie waren eine beliebte Ware der Fahrenden in seiner Heimat.

DARK GLASS – bis zum 6. Juni 2015 in der Galerie Kai Dikhas in der Prinzenstraße 84.2 im neuen Anbau des Aufbauhaus am Moritzplatz

Die Installation KUSHTI ATCHIN TAN? – EIN GUTER ORT? von Delaine le Bas befindet sich noch bis zum 16. Mai im 3. Und 4. Obergeschoss des neuen Aufbau-Hauses, in den künftigen Räumen der Berliner Niederlassung des Dokumentationszentrums Deutscher Sinti und Roma.

Ich habe mich wie ein Voyeur gefühlt, als ich die Installation der berühmten Gypsy-Künstlerin betrat. Weil Delaine Le Bas sehr persönliche Gegenstände zeigt, in einer farbigen Welt, die auf den ersten Blick Gypsy-Romantik versprüht. Zugleich spürte ich, wie extrem zerbrechlich diese Behausung ist. Delaine hat durch die dünnen, schiefen Zeltwände, durch Stoffe und Spitze den Eindruck von Fragilität erzeugt. Liegengelassenes könnte das Zeichen einer Flucht sein. Und je länger dieser Raum auf mich wirkte, desto krasser entpuppte er sich auch als Ort des Schreckens und der Angst.

http://www.kaidikhas.de/de

Daniel Moritz und Delaine

Foto © Uwe Gero

Daniel Baker, Moritz Pankok (künstlerischer Leiter von Kai Dikhas) und Delaine Le Bas beim Artist talk am Vorabend der Vernissage

 

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