Eine Frau. Drei Männer.

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Robi saß mit einer halben Pobacke auf der Liege für die Patienten, die Hände in den Taschen seines weißen Kittels. Ich hatte nicht damit gerechnet, ihn hier in der Notaufnahme zu treffen. Als er mich erkannte, lächelte er, wie er immer lächelt, wenn wir uns unverhofft irgendwo in der Stadt begegnen. Wenn Robi lächelt, bilden sich Grübchen in den Flächen seiner weißen Wangen und seine blauen, mandelförmigen Augen formen sich zu Halbmonden. Seit Jahren bin ich in ihn verliebt. Wie geht’s, sagte Robi und baumelte mit dem Spielbein. Gut, sagte ich. Er sah mich an und lächelte. Immer sehen wir uns an und lächeln und können nicht mehr damit aufhören.

Wie geht es dir?

Gut. Er lächelte.

Ich wusste nicht, dass du hier arbeitest.

Seit einem halben Jahr.

Gefällt es dir?

Ich bleibe nicht hier. Ich gehe in die Chirurgie. Lächelnd. Ich hatte Lust, ihn zu küssen. Er hat die schönsten Lippen, die ich je gesehen habe.

Und du? Was kann ich für dich tun? fragte Robi. Meine Knie wurden weich wie Watte. Ich musste mich auf der Patientenliege abstützen. Warum bist du hier? fragte Robi. Ich hörte auf zu lächeln. Wieso fragte er das? Warum sollte ich denn nicht hier bei ihm sein? Aber dann erinnerte ich mich an den Benzinspritzer in meinem rechten Auge, dessentwegen ich in die Notaufnahme gekommen war. Die Pistole war mir beim Tanken aus der Hand gerutscht, vor ungefähr zwei Stunden. Ich seh’s mir mal an, sagte Robi lächelnd, stieß sich lässig ab und verschwand im Nebenraum, aus dem er mit einem Gerät zurückkam. Schon immer hatte mir gefallen, wie er sich bewegte. Unbeschwert, mit einer Spur Arroganz. Er blickte durch das Gerät in mein rechtes Auge. Wir waren uns noch niemals so nahe gewesen. Mein Herz pochte wie ein Vorschlaghammer. Ist nicht schlimm, sagte er lächelnd. Die Hornhaut ist ein bisschen verätzt. Ich gebe dir eine Salbe.

Nichts ist schlimm in Robis Nähe. Er ist ein Mensch, der deine heiße Hand in seine weiche, kühle nimmt, mit dir aus dem zusammenstürzenden Haus spaziert und draußen sagt: Nicht schlimm. Es ist nur das Haus.

Ich sah plötzlich wieder die Bilder von dem Terroranschlag, der sich vor zwei Tagen bei uns ereignet hatte. Wahrscheinlich hatte Robi in der Notaufnahme mit den Verletzten zu tun gehabt. Ich fragte nicht danach. Ich hatte in diesen zwei Tagen nur ein einziges Mal über den Anschlag gesprochen, mit einem kleinen, rothaarigen Studenten, der mich gefragt hatte, ob ich mit ihm einen Kaffee trinken gehe. In den Nachrichten sprachen sie von nichts anderem mehr. Das Geschehene hing bleiern in der Luft. Wir atmeten es ein. Es machte unsere Stimmung schwer, unsere Worte und Handlungen.

Wie geht es deinen Eltern? Alles in Ordnung? fragte Robi lächelnd.

Ja. Es geht ihnen gut, antwortete ich lächelnd. Und deinen Eltern?

Gut. Er nickte lächelnd.

Ich hatte Robi noch nie mit einer Frau gesehen. War er schwul, wie Jonas, mein Yogalehrer, in den ich ebenfalls verliebt bin? In gewisser Weise ähneln sich Robi und Jonas. Beide haben diese freundliche Trägheit, die mich so anzieht. Wie ein kleiner, irre gewordener Magnet rase ich in ihr Feld. Wo sie sind, ist die Mitte. Sie sind das personifizierte Ohm. Wo sie sich niederlassen, ob im Schneidersitz oder auf einer halben Pobacke, wird der Raum ringsumher wärmer und heller. Niemals ist Robi schwul. Obwohl… bei Jonas habe ich es auch nicht bemerkt. Meine Freundin hatte mich darauf aufmerksam gemacht, als sie einmal mit ins Yogastudio gekommen war, um Jonas zu begutachten und um mir zu helfen, ihn anzusprechen. Du musst aktiv werden, hatte sie gesagt. Aber wie? Ich sehe ihn mir mal an, hatte sie gesagt und dann, sofort, nachdem wir unsere Matten ausgerollt hatten und darauf warteten, dass die Stunde begann, hatte sie mir zugeraunt, dass man zehn Meter gegen den Wind sieht, dass er schwul ist.

Ich mag nun einmal Männer wie Jonas und Robi, ihre Sanftheit. Das Heitere. Gentle men. Am liebsten hätte ich es sofort mit Robi auf dieser Patientenliege getrieben, während draußen im überfüllten Gang die Leute auf ihn warteten. Ich brauchte den Beweis.

Das letzte Mal hatten wir uns im Theater getroffen. Ungefähr vor einem Jahr. Wir hatten uns im Foyer gegenübergestanden. Ich hatte lächelnd zugeschaut, wie sich Robis helle Wangen mit scharlachroten Flecken überzogen und mich gefragt, ob er nicht doch auch ein bisschen in mich verliebt ist. Bis dahin hatte ich es ausgeschlossen, dass ein so gutaussehender Typ in mich verknallt sein könnte. Er war mit seinen Eltern im Theater gewesen. Robi ist nicht der Typ, dem es peinlich ist, mit seinen Eltern gesehen zu werden. Ich hatte mal beobachtet, wie er seine Mutter zur Begrüßung auf den Mund geküsst hatte, auf der Feier eines Freundes. Meine Knie waren so wattig geworden, dass ich den ganzen Abend nicht mehr aufstehen konnte und mir war nichts anderes übriggeblieben, als meinen Tagträumen nachzuhängen.  Ich habe mich niemals getraut, Robi zu sagen, dass ich ihn liebe. Tanja war damals verrückt nach ihm gewesen. Soviel ich weiß, ist zwischen den beiden nichts gelaufen. Sie passten auch gar nicht zusammen. Aber sie muss ihm ziemlich nachgerannt sein und ihn mit Anrufen bombardiert haben, denn sie kannte immer den Grund von Robis Abwesenheit, wenn wir mit der Clique was unternahmen. Ich hatte mich nicht einmal getraut, Robi in ein Gespräch zu ziehen. Kein Thema, das mich bewegte, schien mir einem Buddha angemessen. Ich wollte ihn anschauen und genießen. Eigentlich gefällt es mir, nichts über ihn zu wissen, vor allem nicht, ob er schwul ist. Sonst wäre ich vielleicht nicht mehr in ihn verliebt. Im Grunde will ich gar nicht in ihn verliebt sein, denn es wird nichts laufen zwischen uns, aber jedes Mal, wenn ich Robi treffe, geht es mir danach besser. Ich bin glücklich, dass es ihn gibt und dass er in dieser Stadt lebt und mich auf seine rätselhafte Weise anlächelt.

Ich atmete tief durch, als ich wieder draußen stand. Es war eine kalte Nacht. Mein Atem dampfte. Kein Zweifel: Robi ist der Einzige. Jonas ist schwul. Der rothaarige Student, den ich gestern getroffen habe, ist nicht schwul. Egal. Das war sowieso nur eine flüchtige Begegnung, aber flüchtige Begegnungen können machen, dass du dich verliebst. Er hatte mich angesprochen, als ich planlos durch die Straßen getrieben war. Er hatte mich gefragt, ob ich einen Kaffee mit ihm trinke. Sofort war klar gewesen, dass es nicht darum ging, sich kennenzulernen, sondern lediglich darum, nicht allein zu sein. Wir hatten kurz über den Terroranschlag gesprochen, was wir darüber dachten. Wir dachten beide dasselbe. In dieser Einigkeit der Gedanken und Gefühle hatten wir die Zeit schweigend verbracht. Er war wesentlich jünger als ich. Er sagte, er studiere Kunst. Er war mit einem großen Rucksack unterwegs. Er hatte mir gefallen und es hatte mir gefallen, mit ihm zu schweigen und die Menschen zu beobachten, die draußen vorbeiliefen. Wir hätten uns bei den Händen nehmen können. Es hätte nichts bedeutet, außer, dass wir eine Verwandtschaft spürten. Männer, die Frauen auf der Straße anmachen und ihnen nachlaufen, finde ich langweilig. Mir ist sogar mal einer hinterhergerannt. Atemlos stoppte er neben mir. Jede andere Frau wäre fasziniert gewesen von dieser sportlichen Leistung.

Die Bitte des Kunststudenten war keine Anmache gewesen. Es war um nicht mehr gegangen als das, was wir dann getan hatten. Wir hatten die Zeitlänge einer Tasse Kaffee miteinander geteilt und sie ausgedehnt, bis der Kaffee kalt geworden war. Wenn vor der Haustür ein Attentat passiert, begreifst du, wie schnell wir kaputt gehen können, wie kurz das Leben sein kann, ganz egal, wie sehr du dich im Yogastudio abgemüht hast, auch die kleinsten Muskeln zu trainieren und dich nach den Sternen zu strecken. Dass ich mich in den Kunststudenten verliebt hatte, wurde mir erst klar, als ich am Abend bemerkte, dass ich weder seine Mailadresse noch seine Telefonnummer besaß, nicht einmal seinen Namen, als mir klar wurde, wie besonders unsere Begegnung gerade wegen dieser absoluten Ziellosigkeit gewesen war.

Es macht mir Angst, wenn Leute bei einem Treffen ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass man sich wiedersieht, miteinander schläft, heiratet, Kinder bekommt, zusammen alt wird. Verbindlichkeiten erinnern mich daran, dass alles zu Ende geht: Die Liebe. Mein Leben. Oder habe ich etwa Angst vor der Wirklichkeit? Ich will Sex. Das ist das Problem. Aber nicht mit irgendwem. Die Programme fürs Telefon, die dabei helfen sollen, schnellen Sex zu bekommen, nutzen mir nichts. Ich möchte Sex mit den Männern, die ich liebe. Ich könnte jetzt in das Café gehen und hoffen, den jungen Künstler wiederzutreffen. Ich könnte jeden Tag in dieses Café gehen und hoffen, dass er dieselbe Idee hat. Aber er ist ein Reisender. Er ist längst weitergezogen. Und ich? Stecke ich in meinen Gewohnheiten und Ritualen fest? Drehe ich mich in dieser Stadt im Kreis, wie ein Engel auf einer Pyramide, der sich freut, wenn die anderen Engel und Bergleute und Josef und Maria aus der zweiten Etage in regelmäßigen Abständen wieder an ihm vorüberziehen?

Ich stieg ins Auto und fuhr ins Yogastudio. Es war brechend voll an diesem Abend. Jeder Single fürchtete sich wie ich, mit den Nachrichten am Abend allein zu Hause zu sein. Wir saßen dicht an dicht, Matte an Matte, ich in der letzten Reihe zwischen dem dünnen Mann, der immer zerrissene Hemden trägt und der supertrainierten Amerikanerin. Ich reckte den Kopf, um Jonas zu sehen. Er saß wie immer im Schneidersitz auf seinem Platz unter dem Schrein und blickte vor sich auf den Boden. Ich atmete auf, als er die Stunde mit den ersten Anweisungen begann, dann durch die Reihen ging und unsere Haltungen korrigierte. Was für ein Glück, dass er hier war und vorsichtig mein schwaches Schulterblatt in die richtige Position schob, so zuverlässig jeden Abend in diesem Raum! Ich stellte mir vor, was ich mir schon hundertmal vorgestellt hatte: dass wir nach der Yogastunde zu ihm nach Hause fuhren, uns die Kleider runterrissen und es sofort in seiner Küche miteinander trieben. Er könnte ja Männer lieben. Und gelegentlich mich. Einmal am Tag. Mehr wollte ich gar nicht.

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