Codierte Erinnerungen

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Ausschnitt aus Antje Taubert „Afrikanisches Tagebuch“ 2018. Öl auf Leinwand. Foto: © Jan Friese

Laudatio für Antje Taubert
Vernissage  „NEUE COLORATUREN“ am 20. März 2019
in der Galerie 100

Antje Taubert liebt Farbe. Sie spielt mit den Farben, sie sucht und forscht, die Palette ist ihr Labor, doch auch die Leinwand und das Papier, auf dem sie Farben komponiert, lasierend übereinanderlegt oder gegeneinander schneidet, Harmonien und Hierarchien entwickelt, kurz: auf denen sie Farbe inszeniert. Auf den großen Auftritt der Farbe verweist auch der Titel der Ausstellung „Neue Coloraturen“, sowie auf ihr Tönen und Schwingen. Antje Taubert feiert die Farbe.

Sie arbeitet am liebsten mit Öl, sie mag die Konsistenz. Sie sagt, diese entspreche ihrer langsamen Arbeitsweise. Sie liebt die Tiefe und den Glanz der Ölfarben.

Das Afrikanische Tagebuch entstand nach einer fünfwöchigen Reise der Künstlerin durch Südafrika. Die einzelnen „Blätter“ erinnern an Bilderrahmen oder Buchseiten, vielleicht auch Postkarten, Formate jedenfalls, auf denen wir Reiseerinnerungen gewöhnlich austauschen. Dennoch ist dieses Tagebuch für uns ungewohnt zu lesen. Wir sind an die täglichen Fluten beeindruckender Reiseberichte gewöhnt, die Bilder von Bergen und Meeresstränden, Architekturen, Menschenbildnisse und Tierbeobachtungen, auch Interieurs von Hotels und Bars. Je spektakulärer die Fotos und Filme, desto länger verweilen wir davor. Und Verweildauer ist in der Welt des andauernden und oberflächlichen Medienkonsums zu einer wichtigen Maßeinheit geworden.

Und dann finden wir uns in einer Galerie vor einem Reisetagebuch wieder, dessen leuchtende Farben uns zwar anziehen, doch deren Seiten im Grunde leer sind. Die Kontraste, Harmonien und Brüche fesseln uns. Hier und dort taucht eine Form auf, ein Bild oder Symbol. Es wiederholt sich. Einige Blätter sind in Farbfelder geteilt. Dennoch wissen wir am Ende nicht, was die Malerin in Afrika gesehen hat. Ihre Erlebnisse sind vollkommen in Farbe abstrahiert.

Und dieses: Erinnerungen in Abstraktion auflösen, ist im Werk von Antje Taubert nicht neu. Vor einigen Jahren hat sie eine Bildserie geschaffen, in der sie Ansichtskarten mit Gebäuden und Landschaften aus der Zeit ihrer Kindheit auf Farbflächen reduzierte, sodass die auf der Postkarte gezeigten Orte nun nicht mehr zu identifizieren sind. Auch Titel wie „Geburtshaus“ oder „Platz“ sind eher undeutlich. Antje Taubert hat ihre Erinnerungen in eine Bildsprache codiert, die nur sie selbst oder Eingeweihte lesen können. Auf diese Weise schützt sie ihre persönlichen Erinnerungen vor fremden Zugriff. Die Orte, die jeder besichtigen darf, machte sie zu verborgenen Orten. Antje Taubert verbirgt die Erinnerungs-Bilder im Afrikanischen Tagebuch vor uns. Wir können ihr dennoch auf die Reise folgen. Doch Vorsicht! Hier geht es nicht um Klicks und Likes! Verweilen Sie vor diesen Tagebuchseiten! Schauen Sie genau hin! Dann werden Sie Ihren eigenen Gedankenfluss erfassen und den eigenen Assoziationen und Erlebnissen lauschen.

Eine Künstlerin, deren Thema die Farbe ist, nimmt die Herausforderungen der Farbe an. Antje Taubert wollte ein gelbes Bild malen. Gelb habe sie schon immer interessiert, erzählt sie im Atelier, weil es energetisch eigentlich stärker als Rot sei, dennoch sehr hell, eher schwierig. Das „gelbe Bild“ finden sie im hinteren Raum, es gehört zur Serie „Krümmungen“. Antje Taubert hat ihr „gelbes Bild“ der schwedischen Malerin Hilma af Klint gewidmet, deren Werk in den letzten Jahren wiederentdeckt wurde. Die runden Formen, die „Krümmungen“ erinnern an die großen, geometrischen Blütenmotive der für ihre Zeit ungewöhnlichen Malerin.

In der Werkreihe Interferenz lässt Antje Taubert Farbflächen scheinbar zufällig, ungeordnet, gebrochen aufeinandertreffen und löst damit die streng geometrische Harmonie früherer Werkserien auf. Die mutigen, ungeplanten Strukturen der Überlagerungen und Zusammenstöße treten aus der Fläche, sie klappen auf, bilden Räume und assoziieren bekannte urbane Strukturen.

Nicht zuletzt möchte ich noch einige Worte zu den Zeichnungen von Antje Taubert sagen. Das sind die leuchtenden Tuschezeichnungen auf Papier, die Reihe „Venetien blinds“, deren Form von Jalousien oder Markisen inspiriert ist. Antje Taubert hat an der Kunsthochschule Weißensee studiert. Sie war Meisterschülerin des Zeichners Hanns Schimansky. Zeichnend begab sich Antje Taubert nach dem Studium auf ihren künstlerischen Weg. Die Reduktion auf das Wesentliche, die Entdeckung von Strukturen und die Begeisterung für die Wirkung der Farben führte sie bis hierher, zu den „Neuen Coloraturen“. Antje Taubert wagt sich immer weiter in die Befreiung des Ausdrucks. Wie bei wenigen Künstlern lässt sich dieser Werdegang in ihren Werkgruppen Schritt für Schritt nachverfolgen.

Das Etikett „Konkrete Kunst“ lehnt sie ab, denn die eigene, unverwechselbare Handschrift ist ihr wichtig, was die Jury des André-Evard-Kunstpreises für Konkrete Kunst jedoch nicht daran hinderte, sie zweimal, 2010 und 2018, für den Preis zu nominieren.

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