Kathrins Notiz-Blog 7. November 10

© Illustration Liane Heinze

Am Mittwoch habe ich mir eine Wohnung in der Rheinsberger Straße angeschaut. Es ist mir ernst. Ich werde mich von Leon trennen.

Letztes Wochenende war Jan aus Amsterdam hier, neuerdings der wichtigste Mensch in Leons Leben. Er unterhält ein Lager mit Retrobikes, die er in den Vereinigten Staaten einkauft. Als Leon Jans Lager zum ersten Mal betreten hat, ist ihm ein Martinshorn aus der Stirn gewachsen. Seit Leon mit dem Blaulicht auf der Stirn umher läuft, schläft er noch weniger. Mir bleibt nichts anderes übrig, als unter die Decke zu kriechen und meinen Kopf zwischen die Knie zu schieben, um nichts zu hören und zu sehen. Bequem ist das nicht.

Jan ist groß und schlank und fröhlich, aber seine Augen sind klein und seine Lider geschwollen, so dass ich nicht in ihn hinein blicken konnte, als er mich begrüßte. Er war auf der Durchreise von Warschau nach Amsterdam. Männer wie Jan sind vermutlich immer auf der Durchreise. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er irgendwo langsam aufgewachsen ist und dabei Käfer beobachtet und in Bilderbüchern vor und zurück geblättert hat. Männer wie Jan sprechen ja auch nicht über ihre Kindheit. Und das hat einen Grund: Sie wurden nie geboren. Sie sind am Straßenrand aus einem stachligen Gewächs mit einem Knall aufgebrochen und los gelaufen. Auf der Durchreise hat Jan polnisch, englisch und deutsch gelernt.

Bei seiner Ankunft hatte Jan in Überschallgeschwindigkeit ein Tiefdruckgebiet durchbrochen und eine warme Luftwelle aus dem südpolnischen Raum hinter sich her gerissen, die bis zu seiner Abreise in Berlin verharrte. Wir nutzten die Wärme und grillten vor der Garage. Auch Leons Geschäftspartner Frank und seine Frau Martina waren da. Ich hatte Martina noch nie zuvor gesehen. Ich versuchte es mit einem Gespräch über die Energiepolitik. Die Männer hatten ja ihr Thema. Martina sah so aus, als ob sie in ihrem Schrebergarten ein privates Windrad betreibt. Sie kommentierte die Energiepolitik aber nur mit: „Schöne Scheiße.“, dann war das Thema erledigt. Ich versuchte es mit dem Herbst. Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Herbst je so geleuchtet und die Blätter so herrlich geraschelt haben. Martina war das aber nicht aufgefallen. Ich fragte, was sie so macht. Sie sagte, sie mache gerade nichts. Ich wurde müde.

Am nächsten Morgen standen zwei volle blaue Müllsäcke in der Küche, in denen unsortiert Teller und Gläser, abgenagte Knochen, Stiele und Strünke steckten. Leon und Jan waren schon in Richtung Amsterdam los geknattert.

Mir wurde klar, dass ich Leon nie wirklich geliebt habe.

In meiner alten Wohnung lebt Jolanda jetzt mit Jakob. Es ist eine gemütliche Vorstellung, dass die beiden dort sind. Ich möchte auch gar nicht zurück. Es wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Wenn man eine Beziehung beendet, sollte man irgendwo neu beginnen.

Ich stand im Gewühl der Wohnungsbesichtiger im dritten Stock in der Rheinsberger Straße, dort, wo sie in den Wedding mündet und spürte meine Angst. Blaue Polstermöbel. Ein langer, dunkler Korridor. Der Blick auf graue Neubaufassaden auf der gegenüberliegenden Seite. Das Gefühl, in einer Schlucht zu stecken. Dies war kein guter Ort für einen Neuanfang.

Ich ging zurück nach Hause. Ich schlich. Der Regen fiel mir in den Nacken. Bei dem Altwarenhändler in der Schwedter Straße blieb ich stehen und betrachtete wieder den golden schimmernden Buddha im Fenster, dessen Kleid mit vielen Steinen besetzt ist. Er breitet die Spitzen seines Rocks mit seinen schmalen Fingern aus, erhaben über den kitschigen Kronleuchter über seinem Haupt und den Servierwagen aus Plastik mit den Siebzigerjahre-Tassen neben ihm. Einmal habe ich den Händler nach dem Preis gefragt. Seitdem habe ich Angst, dass einer der neuen Bewohner der Townhouses in der Schwedter Straße auf die Idee kommen könnte, er wäre tatsächlich wertvoll und ihn kauft. Ich muss ihn nicht besitzen, aber ich würde ihn vermissen, wenn er nicht mehr dort steht.

Zuhause warf ich die zwei blauen Säcke mit den Gläsern, Tellern und den Kriebsen und Stielen in die Mülltonne. Auch meine Liebe zu Leon war nicht mehr als ein abgenagter Knochen.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.