Ein Stück vom Himmel

Hier kann für Virtuosen und Dirigenten der Weg nach oben beginnen: Die Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin gehört zu den renommiertesten Musikhochschulen. 2010 feiert sie ihr 60-jähriges Bestehen.


© Foto Ernst Fesseler

„Der Himmel hängt voller Geigen.“ So sagt man in Deutschland, wenn das Leben süß und leicht ist. Der Himmel über Berlin hängt nicht voller Geigen. Die Luft ist meist klar, doch es weht ein rauer Wind. Baulärm steht am Gendarmenmarkt in der Luft. Und doch: auch Musik. Inmitten des Luxusquartiers, das rings um den Gendarmenmarkt entstanden ist, liegt direkt hinter dem berühmten Konzerthaus die Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. Die Signatur Eislers aus roten Leuchtröhren über dem Eingang, die Fahrradständer vor dem Haus, die jungen Frauen und Männer, die an den Plastiktischen im Foyer Automatenkaffee trinken, das Durcheinander der Instrumente und Stimmen – „Die Eisler“ setzt einen Kontrapunkt zu den weiß gedeckten Terrassen der Restaurants und Bars an der Charlottenstraße, zu den Edelläden und den vielen Touristen in diesem Viertel.

Jedes Jahr starten 150 Absolventen von hier aus ins Berufsmusikerleben – unter ihnen Stars wie die Cellistin Sol Gabetta. Die Hälfte der Studierenden kommt aus dem Ausland. So auch die Meisterschülerin Anna Alàs i Jové aus Spanien, eine Mezzosopranistin, und Adrian Pavlov aus Bulgarien, der Komposition und Dirigieren studiert. Beide sind auf dem Sprung in die Professionalität. In dieser entscheidenden Phase profitieren sie von den Verbindungen ihrer Lehrer zu den Konzertsälen, Opern und Theatern der Stadt. Zu ihnen gehören so bekannte Künstler wie Gidon Kremer und Thomas Quasthoff. Nikolaus Harnoncourt, Daniel Barenboim oder Zubin Metha haben Orchester – Workshops und Masterclasses geleitet.

Anna Alàs i Jové arbeitet an der Interpretation Alter Musik. Adrian Pavlov, Komponist und Dirigent, vernetzt sich gerade mit der Neue-Musik-Szene Berlins. Anna Alàs i Jové ging nach Berlin, um bei Wolfram Rieger und Anneliese Fried zu studieren. In diesem Jahr gewann sie den zweiten Preis beim Internationalen Gesangwettbewerbs für Barockoper „Pietro Antonio Cesti“. Jetzt hat sie einen Vertrag mit der Staatsoper in der Tasche. Im Herbst wird sie in einer Oper für Kinder singen. Adrian Pavlov wird im Oktober im Berliner Theater HAU 2 eine Kurzoper von Boris Blacher dirigieren. Es ist das elfte k.o.-Projekt (k.o. steht für Kurzoper), das ausschließlich von Studierenden der „Eisler“ und der Universität der Künste inszeniert wird. Professor Claus Unzen, der Leiter des Studienganges Regie an der „Eisler“, betreut die Projektreihe gemeinsam mit Berliner Theaterschaffenden. „Was nützt es, wenn die Studenten nur innerhalb der Hochschule inszenieren und diese Stücke vor den wohlwollenden Eltern aufführen?“, sagt er. „Sie sollten so früh wie möglich lernen, die Kritik des Publikums und der Profis auszuhalten.“

Große Musiker sind oft bescheiden, sogar demütig. Vielleicht liegt es daran, dass sie mit ihrer Kunst dem Himmel, den Göttern am nächsten kommen. Die beiden jungen Musiker sind erfüllt von Dankbarkeit ihren Lehrern gegenüber. Sie möchten das ausdrücken. Es soll in diesem Artikel stehen. Dabei gäbe es „Die Eisler“ beinahe nicht mehr. Als die Berliner sich zu Beginn der Neunzigerjahre daran machten, die geteilte Stadt wieder zu vereinen, stand sie auf der Streichliste. Es gab ja auch noch die Hochschule im Westen, die heutige Universität der Künste. Zu wenig deutete damals darauf hin, dass sich ausgerechnet die vernarbte Frontstadt des Kalten Krieges zum kreativen Zentrum Europas entwickeln würde. Aber die damalige Rektorin Annerose Schmidt verteidigte „Die Eisler“ erfolgreich. Vielleicht hatte sie die Götter auf ihrer Seite. Apropos: Wer war eigentlich dieser Eisler, der vor den Nazis flüchten musste und von den Kleingeistern der Stalin-Ära angefeindet wurde? Inzwischen ist es das Haus am Gendarmenmarkt, dessen Ruhm auf den fast vergessenen Komponisten neugierig macht. Anna Alàs i Jové wusste vor ihrer Ankunft nur, dass er ein Schüler Schönbergs war. Adrian Pavlov hat sich mit den Werken Eislers beschäftigt, schon lange, bevor er nach Berlin kam. Er schätzt es, dass die Hochschule anlässlich ihres 60jährigen Bestehens in diesem Herbst eine Auseinandersetzung mit dem Künstler führen wird. Seit 1993 schreibt sie jährlich den Eisler-Preis in den Kategorien Komposition und Interpretation unter Berliner Studierenden aus. Adrian Pavlov hat ihn 2010 bereits zum fünften Mal bekommen.

Der Lärm aus der Charlottenstraße dringt durch das geöffnete Fenster ins Büro des Rektors Jörg-Peter Weigle. Der Wind klappert mit den Lamellen des Vorhangs. Auf die Frage, was „Die Eisler“ von den 26 anderen deutschen Musikhochschulen unterscheidet, weist er in Richtung Fenster. „Drei Opernhäuser, fünf Orchester, die freie Szene, Berlin als Theaterhauptstadt, die Museumsinsel. Ausgezeichnete Lehrer, die fest im internationalen, künstlerischen Leben stehen, unsere Verbindungen zur Philharmonie und zum Konzerthaus…“ Die Aufzählung wird aus Platzgründen hier beendet. Erwähnt sei noch, dass Sir Simon Rattle schon mehrmals das Sinfonieorchester der Schule dirigiert hat. Rattles Sohn Alexander ist Klarinettist und macht gerade sein Diplom an der „Eisler“.

Neben dem Sinfonieorchester beherbergt die Schule übrigens ein Kammer – und ein Studienorchester, einen Chor und ein Sinfonisches Blasorchester, das Ensemble Eisler Brass für Blechblasinstrumente und Schlagzeug und das ECHO Ensemble für Neue Musik.

Professor Weigle ist selbst „Eisler“ – Absolvent. Er studierte in den Siebzigerjahren Chorleitung und Dirigieren. „Der Unterrichtsstil, wie wir ihn kennengelernt haben, dem Meister alles nachzumachen, der ist weitgehend verschwunden. Heute steht das Finden der eigenen Persönlichkeit, einer eigenen Interpretation im Zentrum der Ausbildung.“

Um den Weg aufs Dach und sein Stück vom Himmel zu finden, braucht es auch in Berlin immer mehr Kreativität. „Ich möchte mich weiter entwickeln, Spaß mit meiner Arbeit haben“, sagt Anna Alàs i Jové. „Aber weit planen können wir nicht.“

„Als Dirigent hatte ich in letzter Zeit hatte ich viele Einladungen von Neue-Musik- Ensembles“, erzählt Adrian Pavlov. „Es gibt immer Möglichkeiten. Ich arbeite auch als Pianist. Ich lebe für die Musik und kann mir gar nicht mehr vorstellen, etwas anderes zu tun.“

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