Kathrins Notiz-Blog 14. Juni 11

© Illustration Liane Heinze

Ich mag die Worte RICHTIG und FALSCH nicht, aber wenn ein Mensch geboren wird, darf man nicht traurig sein. Es ist falsch. Es ist schief. Kolja soll es nicht spüren. Er strahlt am Telefon. Seine Tochter heißt Ella. „Sie sieht mir ähnlich“, sagt er stolz und jetzt muss ich sogar grinsen, schadenfroh, weil ich mich an Jolandas Geburt erinnere. „Das wird sich ändern“, sage ich.

Ich suche einen Platz für meine Traurigkeit. Vielleicht wäre alles nicht so schlimm, wenn ich nicht entdeckt hätte, dass auch Leon in Verviers ein zweites Leben führt. Vielleicht ist es sogar sein wahres Leben und ich erfülle hier nur noch die Funktion einer Basis-Station.

Auf den Stufen des Alten Museum treffe ich auf die spanische Versammlung der Demonstranten gegen den Ausverkauf Europas, die Assamblea. Ich setze mich zu ihnen, lausche den Reden, lasse sie mir übersetzen. Statt zu klatschen, wedeln die Mitglieder der Assamblea schnell mit den Händen. Die Rede ist von einfachen Dingen. Ein junger Mann sagt, dass es in dieser Diktatur des Geldes nicht mehr möglich sei, das zu leben, was uns in unserem Menschsein ausmacht, unsere Individualität, Schwachheiten, Nachdenklichkeit und die Fähigkeit zu träumen. „Wir möchten eine Zukunft in Frieden“, sagt eine junge Frau. „Wir möchten genügend zu essen haben, arbeiten und tanzen und Kinder haben.“ Ich wedele mit den Händen. Ein Mann aus Griechenland erzählt von den brutalen Übergriffen der Polizei in Athen. Er sagt, die griechische Polizei sei die grausamste des Kontinents. Kranke Migranten trauten sich nicht in medizinische Behandlung, aus Angst davor, aus dem Land verjagt zu werden. Eine amerikanische Touristin erzählt von den Demonstrationen in den Staaten. Händewedeln.

Es ist warm und lange hell. Die Assamblea endet erst mit Einbruch der Dunkelheit. Zieht ein Gewitterregen auf, flüchten wir unter das Vordach des Museums. Zwischen den antiken Säulen wird weiter über den Zustand und die Zukunft Europas geredet. Ich setze mich zu Füßen einer Säule und blicke über den Lustgarten. Ich denke an Ella und meine Traurigkeit wird süß wie eine überreife Erdbeere.

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