Ein Buddha aus hellem Sandstein tritt aus dem Dunkel des Raumes. Das ist kein industrieller Mode-Buddha, wie sie in Jeans – und Pulloverläden in den Auslagen stehen. Dieser stammt aus der Stille eines Tempels. Wenn ich abends an der geschlossenen Galerie vorüber gehe, tönt die Stille in meine Gedanken. Ich bleibe dann stehen und werfe einen Blick an dem Buddha vorbei ins Fenster. Ich muss den Blick an der Scheibe abschirmen, um drinnen etwas zu erkennen. Teppiche von magischer Schönheit hängen an den rohen, unverputzten Wänden. Auf den zerkratzten Dielen liegen Rollen, Bündel, wie hingeworfen. Einige sind zerlöchert. Andere existieren nur noch als Fragment. Aber gerade diese zerrissenen, durchlöcherten Reste sind ergreifend. Als habe man die geretteten Teile uralter, geheimnisvoller Schriftrollen vor sich.
Eines Tages brennt drinnen Licht. Bambusröhren klappern an der Klinke. Auf der Galerie erscheint ein drahtiger Mann, die dunklen Haare zu einem Zopf gebunden. Pascal Michaud studierte Sinologie. China hatte Anfang der Neunzigerjahre gerade begonnen, sich dem Westen zu öffnen, als er seine ersten Teppiche auf Flohmärkten und in alten Bauernhäusern im tibetischen Hochland fand und zu sammeln begann.
Er spricht von den Überlieferungen der Teppiche. Die Weberinnen erzählten Faden für Faden, Zeile für Zeile ihren Alltag, ihre Märchen und Sagen und ihren Glauben.
Viele Bücher wurden seither mit den Deutungen der Teppichmuster gefüllt. Pascal Michaud hat sie gelesen und weiß, dass jeder Experte seine eigene Deutung hat. Die Diskussionen darüber ermüden ihn, genauso wie die Händler, die das Charisma der Teppiche nicht sehen, aber viel Geld damit machen wollen. Es ist schwer geworden, noch alte Teppiche zu finden. Das Geschäft mit alter Handwerkskunst blüht.
Die Teppich-Wollen wurden mit reinen Naturfarben gefärbt. Keine Farbcharge glich der anderen, so sehr sich die Färber damals auch darum bemühten. Aber gerade die winzigen Nuancierungen begründen ihre lebendige Ausstrahlung. Im vermeintlich Unvollkommenen liegt das Geheimnis ihrer Schönheit.
Nachsatz 2010: Wenige Monate, nachdem ich Pascal Michaud besucht habe, wich seine Galerie einem Modegeschäft. Wo die Teppiche ausgestellt waren, hängen jetzt ein paar Hosen und Blusen an Fleischerhaken. Das Scheunenviertel entwickelte sich in den letzten zehn Jahren zu einer der beliebtesten Gegenden Berlins. Edel-Läden und kleine, teure Bistros bestimmen mehr und mehr das Bild der engen Straßen, in denen einst die ärmsten Menschen der Stadt ums Überleben kämpften, nicht immer auf legale Weise. Beinahe jedes freie Grundstück wurde mit Wohnhäusern bebaut, in denen teure Lofts zum Verkauf stehen. Internationale Konzerne mit Marken wie Adidas, Boss oder Lacoste verdrängten kleine, individuelle Händler wie Michaud, um an diesem Standort mit einer Filiale präsent zu sein.