Ich war lange nicht hier. Zwei Monate. Meine Weltenreise führte mich durch verschiedene Daseinsformen bis an die Grenze zum Tod.
Niemand weiß, wie es auf der dunklen Seite ist. Obwohl das Leben mit einem Schrei beginnt und seufzend fortgeführt wird, verlässt keiner freiwillig die lichte Seite. Nur hier ist Atem.
Ich habe viel über die Lunge nachgedacht, dieses seltsame, schöne Organ, dessen riesige Oberfläche -ausgebreitet ist sie so groß wie ein Tennisplatz – uns mit allen verbindet, die sich die Atmosphäre der Erde teilen. (das biblische Wort für Seele, in der hebräischen Ursprache Nefesch, heißt wörtlich übersetzt: Atmender)
Es gibt nicht viel Luft im Universum. Die Erde hat sich ein edles Hemd ausgesucht. Und wir sind in die feine Wäsche dieses Planeten eingewebt, durchlässig und licht.
Als ich auf der Intensivstation unter der Atemmaske lag, ständig das Klappen im Ohr, mit dem ein Mechanismus in der Maske meine Einatmung verstärkte, sah ich wieder mein Lieblingsbild aus „2001: Odysee im Weltraum“: Bowman verlässt das Raumschiff, um an der Außenwand eine Reparatur vorzunehmen. Man sieht das weiße Raumschiff im nachtdunklen Raum schweben und ganz klein darauf Bowman, wie er sich schwerelos zu der defekten Stelle vor arbeitet. Minutenlang wird die Stille nur vom Geräusch seines konzentrierten Atems im Raumanzug unterbrochen. Der Atem dieses einen Menschen im unendlichen, luftleeren Raum ist selbst auch Stille. Meditation.
Nun bin ich zurückgekehrt und tue die Dinge wie zum ersten Mal. Als ich zum ersten Mal gähnte, kehrte das wilde Tier Leben in meinen Körper zurück. Von da an ging es aufwärts. Es gab eine erste Nacht mit meinem Liebsten und einen ersten Spaziergang im Kurpark. Ein erstes Mal schminkte ich mir wieder die Lippen und ließ mir die Haare schneiden. Ein erstes Mal stieg ich aufs Fahrrad. Ein erstes Mal tauchte und schwamm ich. Ich begann Yoga zu üben wie jemand, der seinen Körper neu finden muss.
In der vergangenen Woche habe ich das erste Mal wieder gearbeitet. Ich musste zu einer Pressekonferenz und anschließend einen Bericht darüber schreiben. Es fühlte sich gut an, unter den anderen Journalisten zu sitzen. Sie waren alle sehr aufgeregt. Ich betrachtete ihre Hast und Unruhe, als sähe ich diesen Betrieb zum ersten Mal. Ihre Aufgeregtheit gefiel mir. Die Luft knisterte. Diese Hochspannung, der Ärger mit der Liebe, die Sorgen um den Job und das Geld, das ist die lichte Seite.
Vor einem halben Jahr habe ich einer Kollegin auf dem Reportertreffen in Hamburg einen Pullover geliehen, als es in der Strandbar an der Elbe plötzlich kühl wurde. Wieder in Berlin, versuchten wir in unseren Kalendern eine kleine Lücke zu finden, um ein paar Sätze zu reden und damit sie mir den Pullover zurück geben kann. Es klappte einfach nicht.
Als wir uns endlich in einem kleinen Café verabredet hatten, musste ich ihr absagen, weil ich Fieber bekommen hatte. Ich schrieb: „Du weißt, das Wort „krank“ existiert in unserer Sprache nicht.“
Jetzt ist Herbst geworden. Ich habe sie noch nicht angerufen. Sie arbeitet sehr viel. Aber ich freue mich, sie zu treffen. Nicht wegen diesem Pullover. Ich komme auch ohne ihn über den Winter. Außerdem habe ich jetzt zum ersten Mal einen Pullover bestellt, in dem Hemden – und Pullover – Laden in unserer Straße, dort, wo die Holzscheite an den Wänden gestapelt sind und immer ein kleiner Kamin lodert. Daran wärmt sich der Verkäufer und liest oder telefoniert dabei oder schaut aus dem Fenster.