Philippe sagt, er gehöre zur Generation Israel. Sein ganzes Leben lang begleite ihn der Nahost-Konflikt in den Medien. „Jeden Tag“, sagt er. Philippe ist 50 Jahre alt und in Frankreich aufgewachsen. Ich sehe ihn als Kind in der tristen Vorstadtstraße einer nordfranzösischen Stadt Ball spielen. Aus den Fenstern der Erdgeschoß-Wohnungen quellen die Nachrichten.
Ich glaubte, es spiele es keine Rolle mehr, aus welchem Land jemand kommt. Ich meinte, wir wären alle Europäer. Und wenn ich heute, am Silvesterabend, die vielen Briten, Franzosen, Spanier, Dänen und Italiener in Partystimmung Unter den Linden spazieren sehe, fühle ich mich gut in diesem Europa, in dem die Entfernungen zwischen den Hauptstädten auf einen Silvestertrip und eine Einkaufsparty in der Kastanienallee geschmolzen sind.
Israel stürzt uns zurück in die Vergangenheit der Nationalstaaten. Philippe darf auf Israel schimpfen. Ich nicht. Philippe ist Franzose. Es interessiert ihn nicht, wenn jemand ihm deswegen unterstellt, er sei Antisemit. Er weiß, dass er keinen Menschen aufgrund seiner Religion ablehnt.
Ich darf nicht auf Israel schimpfen. Deutsch ist nicht die Sprache, in der man Israel kritisieren darf.
Aber ich darf an dieser Stelle fragen, was der Krieg zwischen Israelis und Palästinensern in einer Zeit bedeutet, in der sich Nationen, Kulturen, religiöse Riten und Sprachen immer mehr vermischen. Ich habe nur eine Erklärung dafür: Es müssen konservative Kräfte sein, die ein Interesse daran haben, die Spaltung der Welt zu steuern und zu kontrollieren, die um jeden Preis ein Feindbild aufrecht erhalten, als Rechtfertigung für ihre Kriege. Vielleicht hört sich das nach Verschwörungstheorie an. Meinetwegen. Aber warum wurden all jene hingerichtet, die ernsthaft an einer Lösung des Konflikts gearbeitet haben?
Ich frage mich, wieso kein Schrei des Protests von den Juden in der ganzen Welt ausgeht. 2008 las ich das Buch „Israels Irrweg“ von Rolf Verleger. Er schreibt aus der Sicht eines religiösen Juden. Ich bin sehr froh über dieses Buch, weil es ausspricht, was mich solange schon bewegt.
Erst wenn jüdisches Leben und Glauben von der konservativen Art Israels, Konflikten zu begegnen, getrennt werden, ist eine offene, vorurteilsfreie Diskussion über den Nahen Osten möglich. Aber es gibt starke Kräfte, die genau das verhindern wollen.
Für 2009 wünsche ich uns und allen Menschen auf der Welt die Freiheit der Begegnung und der Mischung der Kulturen. Wir müssen die konservative Art der Konfliktlösung durch Krieg und Gewalt weiter bloß stellen.