Kathrins Notiz-Blog 2. August 09

© Illustration Liane Heinze

Wir waren uns einig, die traditionelle Fischsuppe dort zu essen, wo die Einheimischen sie essen, jenseits der Touristenquartiere, in einer Straße, die möglichst in keinem Reiseführer vorkommt. Ich hatte einen Stadtplan gekauft. Ich schaue mir gern Stadtpläne und Landkarten an. Ich kann nicht erklären warum. Ich liebe die Muster des Landes. Ich behalte einfach gern den Überblick. Leon konnte das Rascheln des Planes nicht ertragen. Er sagte, es mache ihn nervös.

„Wie werden wir uns zurechtfinden?“, fragte ich.

„Wir finden uns zurecht“, sagte er.

Wir gingen hinunter auf die Straße. Leon trat auf der Stelle wie ein ungeduldiges Pferd. Er strich seine Locken in die Stirn und nahm Witterung auf.

Er folgte den engen Gassen der Altstadt. Wir stiegen eine steile Straße hinauf, durchquerten einen verwilderten Park. Jenseits des Parks wurden die Straßen breiter und staubiger. Bald erreichten wir ein ärmliches Viertel, in dem Männer in Straßencafés saßen. Sie schauten von ihren Brettspielen auf und blickten uns nach. Ich war hungrig geworden auf dieser Wanderung und wäre am liebsten in das erstbeste Restaurant eingekehrt. Hier oben erhoffte ich eh nichts Besseres. Leon betrat die Terrasse, las die Karte, trat nervös auf der Stelle, pappte unschlüssig die Haare in die Stirn und ging dann weiter. Diese Zeremonie wiederholte sich einige Male. Schließlich entschied er sich für ein Restaurant, nicht größer als ein mittelgroßes Wohnzimmer, mit einer antiken Standuhr und einem geblümten Sofa, über dem ein schweres, altes Radio auf einem Wandbord stand. Wir nahmen an einem kleinen, weiß gedeckten Gartentisch auf dem Trottoir Platz.

„Wieso hast du Angst, dass das Finanzamt deine Trommeln pfändet?“, fragte ich. „Was ist passiert?“

„Ich hatte Pech“, sagte er. „Ein Freund, mit dem ich ein Geschäft hatte, hat mich betrogen.“

Ein kleiner Wind kam auf. Zwei Frauen betraten das Restaurant und begannen ein Gespräch mit dem Kellner. Es sah so aus, als ob sie sich schon lange kennen. Die eine der Frauen, die Ältere – vielleicht war sie so alt wie ich – stützte ihren Ellbogen auf den Tresen und schaute sich im Raum nach Bekannten um.

„Wann ist das passiert?“, fragte ich.

„Vor zwei Jahren.“ Leon sah mich aus dem Augenwinkel vorwurfsvoll an. „Du hast gesagt, dass meine Schulden dich ankotzen. Das war schlimm für mich.“

„Es tut mir leid“, sagte ich. „Wir hatten uns erst dreimal gesehen. Ich habe an diesem Abend Schluss gemacht.“

„Damals, als es passiert ist, wollte ich sterben. Ich stand schon auf der Brücke“, erzählte Leon.“Und als du gegangen bist an diesem Abend, glaubte ich wieder, sterben zu müssen.“

„Was hat dich damals gerettet?“, fragte ich.

Leon blickte auf die Tischplatte. Er lächelte. Ich wurde schon eifersüchtig, als ich sein Lächeln sah.

„Ein Engel hat mich gerettet“, sagte er. „Manchmal trifft man Engel.“

Die Suppe wurde serviert. Ich schmeckte gar nichts. Ich dachte an Leons Engel. Ich fragte mich, ob ich lieber sein einziger Engel als seine erste Frau sein möchte.

„Sie ist gut, nicht?“, sagte Leon.

„Ja“, sagte ich.

„Dieser Engel“, begann ich.

Leon nahm meine Hand und lächelte wieder, so offen, wie ich ihn noch nie hatte lächeln sehen. „Was möchtest du wissen?“

„Wieso bist du sicher, dass es ein Engel war?“

„Sie hat mir alles gegeben, was ich in diesem Moment brauchte.“

Ich schaute hinüber zu den Frauen, die noch immer am Tresen mit dem Kellner plauderten. Die ältere blickte zu uns. Sie seufzte und suchte nach einer Zigarette. Sie trug ein schwarzes Sommerkleid aus Baumwolle, mit Rüschen am Dekolletee. Sie wartete auf ihren Geliebten wie die Frauen im Süden das tun.

„Ich habe nachgedacht“, sagte ich. „Über deine Schulden. Es wäre schön, wenn wir das zusammen schaffen.“

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