© Illustration Liane Heinze
Wie aufgeregte Theaterbesucher schwatzten die goldenen Kirschblätter auf dem Schulhof. Jolandas Gesicht stach hell aus der Dämmerung. Der Wind zauste ihre lockigen Haare. Sie trug Kniebundhosen und ein weites, weißes Hemd. Sie würde an diesem Abend den schlauen Diener „La Flèche“ in Molières Komödie „Der Geizige“ spielen. Mit ihr waren Jakob und Natascha nach unten gekommen. Jolanda stellte uns gegenseitig vor. „Meine Mischeltern“, sagte sie. Dann verkroch sie sich mit Jakob und Natascha in eine windgeschützte Nische hinter der Eingangstür, um zu rauchen.
Wir stiegen die Stufen zur Aula empor. Leon trug einen Mantel, der seit mindestens zehn Jahren in seinem Kleiderschrank hing und nur bei besonderen Anlässen hervor geholt wurde. Bevor wir losgegangen waren, hatte er immer wieder seine Haare in die Stirn gedrückt und gewischt und dabei sehr unglücklich ausgesehen.
Es war das erste Mal, dass ich mit einem Freund, mit einem Mann, in Jolandas Schule ging, so dass man glauben könnte, wir wären ihre Eltern. Ich glaube, es war auch das erste Mal, dass Leon als ein Mischelternteil eine Schule betrat. Ich hatte mich bei ihm untergehakt. Es war ein ziemlich altmodischer Moment, aber er brannte in meinem Herzen so gemütlich wie ein Kartoffelfeuer.
Der Schulleiter regte seinen Kopf über die aufgeregte Menge in der Aula. Er sah aus wie ein Greifvogel. Leon trug ein weißes Hemd unter dem Mantel, aber er schien unfähig, seinen Hals in weißen Kragen zu bewegen. Er wirkte selbst wie frisch gestärkt.
„Was möchte Jolanda werden?“ fragte er nach der Vorstellung, als wir uns von den Kindern verabschiedet hatten und den Weinbergweg hinauf spazierten.
„Kriminalistin“, sagte ich. Ich erzählte Leon, dass Jolanda Kinder haben möchte.
„Wieso denkt sie jetzt schon an Kinder?“, fragte Leon.
„Weil sie…klug ist, vorausschauend?“, sagte ich.
„Aber sie muss doch erst einmal die Welt entdecken, das Leben studieren, raus, sehen, wie es anderswo ist.“ Leon ereiferte sich. „Nicht gleich fertig eingerichtet und Kinder.“
„Heißt es, dass man sich fertig einrichtet, wenn man Kinder bekommt?“
„Du kannst die Dinge nicht mehr einfach so laufen lassen. Du übernimmst Verantwortung.“
„Hast du deshalb keine Kinder?“, fragte ich.
Leon blieb stehen. „Nein. Nein.“ Er schaute auf seine Schuhspitzen. Er hatte elegante, schwarze Schuhe angezogen. „Ich hätte gern Kinder gehabt.“ Einige Blätter raschelten über den Bürgersteig. Die Tram heulte den Berg hinauf.
„Machen wir ein Kind?“, flüsterte Leon in der Nacht. Ich lag auf seinem Bauch. „Mit dir ein Kind – das muss wunderbar sein. Du mit einem dicken Bauch.“
Regen trommelte an die Scheibe. Ich legte mein Ohr an sein Herz und hörte, wie es schlug. „Woher nimmst du den Mut?“, fragte ich.
„Ich bin nicht mutig“, sagte er. „Ich habe Lust darauf.“