© Illustration Liane Heinze
Im Radio sprach ein Physiker über die Zeit. Er wurde gefragt, ob die Zeit auch unabhängig von uns Menschen existiert. Er sagte, man wisse es nicht so genau, vermute es aber. Auf jeden Fall sei die Zeit nicht das, was wir dafür halten und was Uhren und Kalender messen.
Diesen Verdacht, dass die Uhren nicht stimmen, habe ich schon lange. Es gibt Zeitphänomene, die das beweisen. Phänomen Nummer eins (ich nenne es das Schildkröten-Phänomen): Zeit gewinnt man nicht, indem man sich beeilt. Unsere Sprache drückt den Zeitgewinn korret aus. Man muss ich Zeit-lassen oder Zeit-nehmen.
Aber der Physiker im Radio war der Meinung, dass wir zu schlampig mit dem Wort: Zeit umgehen. Wir sagen: Ich habe keine Zeit, aber eigentlich müsste es heißen: Ich bin nicht frei. Oder: Ich bin beschäftigt. Denn jeder Mensch hat gleich viel Zeit.
Ich habe den ganzen Tag über der Skizze des Optikerladens gesessen. Morgen gehe ich damit zu Kolja. Er hat versprochen, mir bei der Umsetzung zu helfen.
Während ich meine Skizzen in eine Mappe packte, dachte ich, dass nur die Zeit, in der wir einen anderen Menschen lieben, wahrhaft gelebte Zeit ist. Dazwischen ist nur ein Polster aus etwas, aus dem man die Luft auch rauslassen, das Ding zusammenlegen, hinter einen Schrank schieben und vergessen kann.
Leon war in einem Fahrradgeschäft in Quatre-Chemins, als ich anrief. Er war völlig aus dem Häuschen, weil er gerade eine Campagnolo-Schaltung gefunden hatte. Ich fragte, ob er immer noch ein Kind mit mir haben möchte.
„Jetzt?“, sagte er. „Das ist vielleicht nicht der richtige Moment, oder?“
„Vor ein paar Wochen wolltest du unbedingt.“
„Möchtest du?“, fragte er.
„Ja“, sagte ich.