Held der Arbeit

Berliner Zeitung

In Wieland Giebels Buchladen Berlinstory werden nicht nur die Kunden glücklich – sondern auch die Angestellten


Die Berlinstory Unter den Linden 26 ist keine schöne Buchhandlung. Wahrscheinlich ist sie die hässlichste der Stadt. Gleich am Eingang quellen dem Besucher Ampelmännchen und T-Shirts mit Bärennasen entgegen, gefolgt von Nofretete- und Friedrich – Büsten aus Marmorstaub und Alabastergips, in diesem Jahr auch Luisen in allen Größen, gleich neben den Trabis. Es folgen mehrere Stapel dünner Broschüren mit teilweise dünnen Informationen über die Geschichte Berlins. Der Verkaufsschlager „Die Berliner Mauer 1961-1989“, ein Heft mit knapp erläuterten Fotografien aus dem Landesarchiv Berlin, erhältlich in 10 Sprachen, ist zu einem dicken Klotz vom Boden bis in Brusthöhe gestapelt. 9,80 Euro – Geschichte light für den Easy-Jetter.

Die erste Irritation geht von der Kassiererin aus. Obwohl ziemlich viel los ist, bleibt sie freundlich. Ihre Freundlichkeit ist weder angestrengt noch laut, sondern natürlich. Befinden wir uns wirklich in einem Touristenladen Unter den Linden? Kein Zweifel.

In den Sommermonaten ist jedes zweite verkaufte Buch ein fremdsprachiges. Der Tourist wird an den Bücherstapeln zur Linken entlang in das Café verführt. Berliner schweifen nach rechts zu den Büchertischen und Regalen. Dort differenziert und vertieft sich der Blick auf Berlin. Es geht um einzelne Bezirke und kulturelle Ereignisse. Das Angebot ist nach geschichtlichen Epochen und Sonderthemen wie Küche, Krimis und Kinderbücher sortiert. Der Blick einer älteren Dame fliegt hastig über die Neuerscheinungen zu den Hohenzollern. „Hab ich schon…hab ich auch schon“, raunt sie ihrer Begleiterin zu. „Ich gehe hier nicht ohne was raus.“ Ihr Blick bleibt an dem Bildband „Der grüne Fürst“ hängen, streift die Potsdamer Pomologischen Studien und die Friedhofs-Reihe der Edition Luisenstadt. In einem unteren Fach entdeckt sie ein vergessenes Bändchen „Wilhelm II. in Doorn“, Staub wirbelt auf, als sie danach greift. Sie blättert eine Seite auf, wirft es zurück.

Wieland Giebel, der Gründer und Inhaber der Berlinstory, steht hinten am Tresen, hinter dem seine Buchhändler recherchieren und Bestellungen abwickeln. Er ist groß und schlank. Mühelos überblickt er sein Geschäft. Sein kurzes, drahtiges Haar ist weiß. Giebel ist sechzig Jahre alt. Er blickt in seinen Laden, als denke er darüber nach, wieder zu gehen. Den cognacfarbenen Lederblouson hat er noch nicht abgelegt.

„Die Kassiererin heißt Susanne Roder“, sagt Wieland Giebel, der Gründer und Inhaber der Berlinstory. „Sie hat ein rotes Rennrad, das nicht draußen stehen darf, weil es ein ganz besonderes Rad ist. Deshalb müssen wir jeden Tag einen Platz hier drin finden.“ Giebel klingt, als würde er lieber draußen in der Sonne Unter den Linden entlang flanieren, mit Tagebuch und Kamera, seinen ständigen Begleitern, um anschließend bis zum Feierabend an seinem Berlinstory-Blog zu schreiben.

Zu seinem Unternehmen gehören außer der Buchhandlung mit Café ein Theatersalon im Untergeschoss, in dem an fünf Tagen in der Woche gespielt wird und der Berlinstory-Verlag auf der Galerie über seinem Kopf, in dem alle zwei Wochen ein neues Buch erscheint. Im August findet wieder die Historiale statt, Giebels eigenes Geschichts-Festival, mit Kino, Führungen, Vorträgen und einer Party. Thema sind in diesem Jahr die Zwanzigerjahre. Im Oktober eröffnet im Untergeschoss das Berlinstory-Museum. Auf 1.600 Quadratmetern regiert Wieland Giebel über 30 Mitarbeiter. Pro Jahr macht seine Buchhandlung 2,4 Millionen Euro Umsatz. Die Berlinstory hat an jedem Tag des Jahres geöffnet. Und Giebel steht am Tresen und plaudert über das rote Rennrad der Kassiererin.

Giebel sagt, es sei eines seiner wichtigsten Anliegen, dass seine Mitarbeiter zufrieden sind. Er möchte, dass sie ihre Begabungen entwickeln, auch über ihre eigentlichen Arbeitsbereiche hinaus. „Jobenrichment“, sagt Giebel. Nach dem Management-Lexikon von Dr. Kraus und Partner bezeichnet „Jobenrichment“ das Bemühen, die Aufgaben eines Mitarbeiters interessanter und abwechslungsreicher zu gestalten, bzw. den Arbeitsbereich durch qualitativ höherwertige Aufgaben auszuweiten. Aus Giebels Mund klingt dieser Begriff aus der Etage der Menschenverwalter seltsam. Er passt nicht zu ihm. Aber er sagt das Wort gern. Es ist das einzige, das er in einer ihm fremden Welt für sich entdeckt hat und nun wie einen kleinen Schatz vor sich her trägt.

Romy Herzog sieht zufrieden aus. In ihrem schmalen Gesicht scheint alles zum Strahlen angelegt: die großen Augen, die fein gezeichneten, vollen Lippen, die makellosen Zähne. Die 31jährige betreut das Kinderbuch-Sortiment. Sie sagt, es sei ihr Herzenskind. An diesem Montag ist der Tisch ziemlich geplündert. Am Wochenende ist Kinderbuch-Zeit. Großeltern schlendern mit ihren Enkeln Unter den Linden entlang, spendieren ihnen ein Eis und was gutes zum Lesen. Der geschäftsreisende Papa greift in Sonntagslaune noch flugs nach einem Mitbringsel.

Romy Herzog wird oft gefragt, wo man die Mauer noch sehen kann und wo der Führerbunker ist. Manchmal wollen Kunden wissen, ob sie in Ost – oder Westberlin geboren ist. Dann erzählt sie, dass sie in Thüringen aufgewachsen ist, in der DDR. Romy Herzog hat einen vierjährigen Sohn. Nach der Elternzeit wollte die Buchhandlung, in der sie bis dahin gearbeitet hatte, sie nicht weiter beschäftigen. Per Annonce suchte sie eine Teilzeitstelle. Sie erinnert sich an den Anruf von Wieland Giebel: „Er sagte: ‚Sie sind doch sicher Mutter. Wir können Sie gut gebrauchen.“ Nachdem sie ein halbes Jahr Teilzeit gearbeitet hatte, entschloss sich Romy Herzog, wieder voll in ihren Beruf einzusteigen. „Es ist das beste Team, in dem ich je war.“

Über ihre Arbeit an dem Mauerbuch für Kinder spricht sie nicht so gern. Es sei doch maßlos übertrieben, dass sie es lektoriert habe. Lediglich an der Gestaltung habe sie ein bisschen mitgearbeitet. „Die Mauer ist ein schwieriges Thema, gerade für Kinder“, sagt sie. „Dass mir in dem Buch etwas fehlte, hängt vielleicht damit zusammen, dass ich aus der DDR komme. Wenn man die Bücher heute anschaut, ist alles grau, aber meine Erinnerung ist bunt. Ich möchte nicht in Ostalgie fallen, aber auch nicht alles schlecht reden. Ich möchte, dass diese Zeit realistisch dargestellt wird.“

Der Band „Die Mauer war immer ein Schnitt in meinem Herzen“ ist eins von drei Kinderbüchern des Autorenpaares Magdalena und Gunnar Schupelius. Gunnar Schupelius ist Kolumnist und Reporter der Berliner Boulevardzeitung BZ. Vor einer Wand mit dem Memo-Spiel DDR, dem DDR-Quiz und dem DDR-Puzzle, dem Bastelbogen „King of Kebab“ und den „Berlintussen“ zum Ausschneiden und Anziehen, liegen die drei Neuerscheinungen auf einer Palette, je vier kniehohe Stapel der rot gebundenen Luise-Biografie und der blauen Friedrich-Biografie. Auf der anderen Seite acht Stapel des Mauerbuches. „Die Sache mit dem Pioniergeburtstag zum Beispiel.“ Herzog blättert auf Seite 46. „Ich wollte dieses Foto von einem Pioniergeburtstag einfügen, damit klar ist, dass das eine Massenveranstaltung war und nicht eine Geburtstagsfeier, wie die Kinder sie heute kennen.“ Auf Anregung der Kinderbuchhändlerin wurden ein Vorwort und weitere Fotos hinzugefügt und die Illustrationen mit Sprechblasen versehen. Herzog empfahl, den Kindern in einem Infokasten zu sagen, dass man den Luftbrücke-Flughafen Gatow und die Mauergedenkstätte heute noch anschauen kann. „Kinder gehen doch gern auf Entdeckungsreise.“

Im Café der Berlinstory sitzt die Buchhändlerin Antje Werner vor ihrem Laptop. Antje Werner ist 46 Jahre alt, eine zierliche Frau mit Friesellocken. Sie sieht zufrieden aus. Sie hat gerade eine Woche Urlaub in Barcelona hinter sich. In der Berlinstory betreut sie die Sortimente Architektur, regionale Bezirke, das moderne Antiquariat und die Kollektion Buddybären. Heute ist ihr freier Tag, aber sie ist trotzdem gekommen. Sie arbeitet an einem Taschenkalender für 2011. Sie schloss dafür einen Autorenvertrag mit dem Verlag Berlinstory. Wie hoch die Provision ist, die sie pro verkauftes Exemplar erhält, hat sie vergessen. Es sei ihr nicht wichtig. Und ob sie die Überstunden, die sie für den Kalender macht, je abfeiern wird, weiß sie auch noch nicht. Die Arbeit an dem Kalender mache ihr einfach Spaß.

Buchhändlerinnen als Autorin und Lektorin, der Praktikant Arthur aus Hongkong als Übersetzer des Mauer-Buches ins Kantonesische, die zwei Mitarbeiterinnen des Salons, die selbst auch auf der Bühne stehen – was stimmt nicht mit diesem Wieland Giebel, der ausgebildete Buchhändlerinnen fest anstellt, sie auch noch nach Tarif bezahlt und offenbar keine größere Sorge hat, als dass sie sich langweilen könnten?

Giebel sagt, er möge eben gern zufriedene Menschen um sich. Aber würden das nicht auch die vielen Ladeninhaber sagen, die qualifizierte Buchhändler aus Kostengründen durch studentische Hilfskräfte ersetzen? Obwohl in Deutschland kein Buchhandelssterben zu beobachten ist, und sich die Umsätze, zumindest in den vergangenen drei Jahren, auf einem stabilen Niveau halten, nimmt die Zahl der Beschäftigten kontinuierlich ab. Es mag an den gestiegenen Kosten liegen, die nicht mehr vom laufenden Umsatz gedeckt werden können. Vielleicht reizt viele Buchhändler aber auch nur die Einsparung, die durch den Einsatz von 400-Euro-Kräften möglich wird.

An Giebel bewahrheitet sich eine buddhistische Weisheit. Er hat gefunden, was er niemals suchte. Als er einmal eine Ausstellung der Gesellschaft historisches Berlin betreute, deren stellvertretender Vorsitzender er damals war, verkaufte er dort einige Bücher und stellte verwundert fest, dass ihm das Spaß macht. „Das habe ich mir als protestantischer Maoist niemals vorstellen können, dass ich eines Tages etwas verkaufe, Sachen verhökere, unter die Händler gehe, die Jesus aus dem Tempel getrieben hat.“ So kam es 1997 zur Gründung der Buchhandlung Berlinstory. Giebel ist kein Buchhändler. Er hat kein Problem mit dem „Non-Book“, jenem Bereich, der von vielen in der Branche naserümpfend abgelehnt wird: Filme und CDs, auch die Luise-Büsten und Trabis gehören dazu. „Ich habe keine Angst vor Schneekugeln und T-Shirts“, sagt er. Mit dem Non-Book-Bereich bestreitet Giebel die Hälfte seines Umsatzes.

Dieser ganze Touristen-Kram, die ständigen Neuerscheinungen seines Verlages, unter denen sich wirkliche Kleinode finden, neben Flops, die scheinbar unendliche Themenvielfalt der Stadt spiegelt seine Biografie, sein Leben, seine Suche. Der Jurist Giebel arbeitete sechs Jahre als Lagerarbeiter „um die Arbeiterklasse zu mobilisieren“, arbeitete ein Jahr mit Jugendlichen in Nordirland, entwickelte ein landwirtschaftliches Projekt in Ruanda und studierte dafür Ökotrophologie, er schulte sich nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl zum Experten für Niedrigstrahlungen, engagierte sich in der Umweltbewegung, berichtete für das europäische Parlament über die zerstörte Natur in der DDR, gründete den Verlag Elefantenpress, wurde Historiker.

Giebel ist neugierig und weltoffen. Ein bisschen Glück hat er auch. Berlin boomt. Die Zahl der Touristen steigt weiter an. Unter den Linden hat Giebel den Ort gefunden, an dem er sich entspannt in den Yogi-Sitz begeben kann, ein gemütliches Om im Bauch, während Romy Herzog Kinderbücher durch kluge Anmerkungen verbessert und sein Hersteller Norman Bösch die Autoren Berlins mit seiner unkomplizierten Art bezaubert, während die Umsätze in der Lade der freundlichen Kassiererin klingeln -6,8 Prozent Steigerung im letzten Jahr-. Der Exot Giebel wird von den Berliner Buchhändlern mit Respekt bedacht. Wieland Giebel freut sich darüber, aber ein bisschen muss er sich auch rechtfertigen, er kann nicht anders. „Verkaufen hat ja auch damit zu tun, andere zu bereichern.“

Am 28. Juni erhielt das Unternehmen Berlinstory den Preis „Ausgewählter Ort im Land der Ideen.“

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