Kathrins Notiz-Blog 25. Januar 11

© Illustration Liane Heinze

Gestern habe ich Kolja im Büro besucht. Er saß allein im Lichtkegel seiner Schreibtischlampe in dem dunklen, leeren Büro. Er sprang nicht wie sonst auf, um mir aus dem Parka zu helfen. Er sagte nichts. Es musste etwas geschehen sein. „Hier!“ Er schnippte mir über seinen Schreibtisch einen Brief entgegen. „Ist heute gekommen.“ Es war ein grauer Brief. Ich brauchte ihn nicht auseinanderzufalten. Ich wusste, es war die Absage an seine Idee.

Er hatte eine Wohnhaussiedlung für sozial schwache Familien vorgeschlagen. Die Familien sollten an der Gestaltung mitwirken. Sein Entwurf sah vor, dass sich die Größe der Räume verändern ließ. Außerdem konnten die Mieter je nach Lebensart entscheiden, ob ihre Badewanne im Schlafzimmer stehen sollte, oder in der Küche oder in einem klassischen Bad. Koljas Konzept hatte auch vorgesehen, dass ich die Bewohner bei der Inneneinrichtung beriet.

„Idioten!“, sagte er. „Statt zu sagen: Los, ihr Hartz-IVler, fangt an, kommt mal raus aus eurem Kasten, schiebt die Wände hin und her und denkt sie neu. Hey, spielt doch mal wieder! Das wird euer Leben ändern. Nein! – Wie sollen wir das verwaltungstechnisch eckig in unsere kleinen Karteikästen kriegen?“ ahmte Kolja die Meckerstimme einer Bürokratin nach.

Er stand endlich auf, mich zu umarmen. Dann schob er sich eine Zigarette zwischen die Zähne und zündete sie mit einer großen Geste an. Er hielt mir die Schachtel hin. Ich bediente mich. Ich hatte schon lange nicht mehr geraucht. Kolja hockte mit hängenden Schultern auf der Ecke seines Schreibtisches, seine Schiebermütze weit aus der Stirn geschoben. Sie hatte eine Druckstelle über dem rechten Ohr hinterlassen.

„Kolja?“

„Mm.“

„Es muss sich was ändern.“

„Revolution? Kommunismus?“ Er blickte auf, grinste, die Zigarette zwischen seinen geraden Zahnreihen. Er schloss die Lippen, um daran zu ziehen und blies den Rauch dann wieder durch die Zähne.

Ich kicherte. Es gab gar nichts zu Lachen. Das heißt, es gibt immer was zu Lachen, gerade, wenn etwas trauriges passiert. Etwas sehr trauriges. Lachen ist Abwehr und Einverständnis zugleich. Im Lachen liegt das Paradoxon unserer Existenz.

Kolja ließ sich rücklings auf den Schreibtisch fallen, so dass nur sein Gesicht im Lichtkegel lag. Er gab dem Lampenschirm einen Schubs. „Haben wir doch schon“, sagte er.

„Blöde, billige Wohnungen für alle.“

„Nicht für alle.“

„Gott sei Dank nicht für alle“, sagte Kolja.

„Wie wäre es mit unseren Wohnungen für alle?“ Ich ließ mich neben ihn sinken. Da lagen wir nun in unserem harten Doppelbett und hatten beide vorerst keinen Job. Kolja drehte sich zu mir, legte seine Hand auf meinen Bauch. Ich nahm einen langen, tiefen Zug.

„Du meinst, wir könnten im Kommunismus ein Geschäft machen?“

Ich musste wieder lachen. „Sag mal, was ist in dem Zeug drin?“ Ich richtete mich auf, schaute aus dem Fenster des Heizhauses durch die kahlen Bäume auf die Sechziger-Jahre-Fassaden gegenüber. Gott, was war diese Stadt im Januar hässlich!

„Kann man mit dir überhaupt kein ordentliches Weltverbesserer-Gespräch führen?“

„Doch“, flüsterte er. „Weiter so. Die Welt wird gerade immer besser.“ Er legte seine Hand auf meinen Rücken.

Ich ließ mich wieder neben ihn fallen. Sein Gesicht war ganz nah. Ich probierte, wie es sich anfühlt, seine Lippen zu küssen, danach, wie es sich anfühlt, wenn sein unrasiertes Gesicht über meine Wange streicht. Dann sprang ich auf. Genug. „Ich muss los.“

Kolja richtete sich langsam auf, als hätte ich ihn aus einem langen Schlaf gerissen. „Du bist doch eben erst gekommen.“

„Du solltest das Projekt auf keinen Fall aufgeben.“ Ich wickelte meinen Schal ungefähr zwanzig Mal um den Hals, damit ich es mir nicht anders überlegte und mich wieder auszog.

Er begleitete mich zur Tür. „Sie ist schwanger“, sagte er.

„Das ist wunderbar. Es ist großartig“, sagte ich. „Du wirst sehen.“

Er nickte.

„Du glaubst mir nicht.“

Er legte seine Hände um meine Taille und zog mich für einen Kuss an sich. Dann riss er die schwere Eisentür vor mir auf. Als ich auf die Straße trat und hungrig nach der kalten Luft schnappte, dachte ich, dass Kolja meine Taille so verstand wie den Griff einer Einkaufstüte, als etwas Funktionales.

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