Eine komische Frau

Das Foto zeigt den Schatten einer Skulptur der Bildhauerin Johanna Martin

Weil sie das Programm auf großen Bühnen zu weltfremd fand, gründete Constanze Behrends mit 22 ihr eigenes Theater in Berlin. Das „Prime Time“, das ohne öffentliche Gelder auskommt, wurde eine Erfolgsgeschichte.

Die Schauspielerin Constanze Behrends ist eine große Komödiantin. Sie dreht gerade für eine Vorabendserie in der ARD und führt ein eigenes Theater in Berlin, in dem sie auch spielt. Mit 31 Jahren hat sie 101 Bühnenstücke geschrieben. Constanze Behrends ist hübsch. Sie hat lange, blonde Haare und einen Körper wie ein Model. Verheiratet ist sie auch, und seit zwei Jahren Mutter.

Es gibt sie also, diese Menschen, die alles haben und denen alles gelingt.

Sie hat zur Premierenfeier in die Prime Time Kantine eingeladen, gleich neben ihrem Theater, Müller – Ecke Burgsdorfstraße im Berliner Wedding. In dieser Gegend treiben sich nachts gewöhnlich nur noch Spielsüchtige und Männer auf der Suche nach einem Bordell herum. Heute     tröpfeln die letzten Theaterbesucher auf die Straße, während in der Kantine die Feier beginnt. Auf der weiß gedeckten Tafel stehen Platten mit Antipasti. Es gibt Sekt. Constanze Behrends sieht großartig aus in dem engen, schwarzen Kleid, das knapp über dem Knie endet. Sie trägt High Heels, mit denen sie auf gute 1,90 Meter kommt. Die Aufführung von „Liebe, Leid & alle meine Kleider“, ein Stück der New Yorker Autorinnen Nora  und Delia Ephron, war ein Erfolg. Fünf Schauspielerinnen bestritten die szenische Lesung. Constanze Behrends saß in ihrer Mitte, rechts neben sich die zwei jungen Schauspielerinnen ihres Ensembles, Cynthia Buchheim und Katharina Bertus, links die Gaststars Susanne Pätzold und Sabine Kaack, die aus dem Fernsehen bekannt sind.

In der Kantine herrscht eine ausgelassene Stimmung. Der Theaterhund Blacky huscht zwischen den Gästen umher. Zur Premiere ist die ganze Familie von Constanze Behrends gekommen. Ihr Bruder hat an der Bar im Foyer ausgeholfen. Die Eltern sind aus Sachsen-Anhalt angereist. Die Mutter, groß und schmal wie ihre Tochter, überreichte Constanze Behrends während des Schlussapplauses Blumen.

Die Erfolgsgeschichte von Constanze Behrends begann gleich nach dem Schauspielstudium. Zwei Jahre zuvor, bei den Dreharbeiten zu einem Anti-Drogen-Spot hatte sie ihren späteren Mann Oliver Tautorat kennengelernt. „Wir waren zu einem internationalen Bulgakow-Festival eingeladen“, erzählt sie. „Wir sollten den deutschsprachigen Beitrag bestreiten. Um uns darauf vorzubereiten, mieteten wir einen Probenraum in der Künstlerkolonie Wedding. Eines Tages kamen wir auf die Idee, eine Bar darin aufzustellen und etwas Eigenes zu spielen, um die Miete zu verdienen. Also schleppten wir das Sofa aus unserer Wohnung da rein und organisierten ein paar Stühle, insgesamt 35 Plätze, die zur ersten Vorstellung schon ausverkauft waren. Oliver und ich, wir sind eher Fernsehgucker als Theatergänger. Mit modernem Regietheater können wir oft nichts anfangen. Unser erstes Stück war der Auftakt einer Sitcom für die Bühne, die wir „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ nannten.“

Folge 1 der weltweit ersten Sitcom für die Bühne wurde am 10. Januar 2004 in der Freienwalder Straße 30 im Berliner Bezirk Wedding, pünktlich zur Prime Time 20:15 Uhr uraufgeführt. Es war die Gründungsstunde des Prime Time Theaters. Das geplante Bulgakow-Festival fiel übrigens aus.

Mit 22 Jahren war Constanze Behrends vermutlich die jüngste Theaterleiterin der Welt. Sie war die erste Berliner Intendantin, die den Alltag von Migranten auf die Bühne brachte. Inzwischen zählt „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ 80 Folgen. Der Dönerladenbesitzer Ahmed und der Dönerlieferant Murat, seine Mutter Hülia, die sächselnde Heidemarie Schinkel von der Arbeitsagentur und Eische, die kurz Bezirksbürgermeisterin von Wedding war und darauf besteht, „deutsche Eische“ zu sein, der Postbote Kalle, die Kiezschlampe Sabrina und andere Berliner Typen gehen in Behrends Wedding-Universum skurrile Beziehungen ein, nicht zu vergessen die Gäste aus anderen Teilen der Stadt, die Band „The Friedrichshainis“ beispielsweise und „Prenzlwichser“ Claudio. Der leichtfüßige Umgang mit dem „Problembezirk“ Wedding rührt vielleicht aus dem eigenen Migrationshintergrund der Theatermacher. Oliver Tautorat kommt aus München. Seine Mutter ist Griechin. Behrends ist im Osten groß geworden, in einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt.

Schauspielkollegen zum Mitmachen waren damals schnell gefunden. Wenige Darsteller, meist nur vier oder fünf, springen während einer Aufführung blitzschnell in ihren Rollen hin und her. Diese artistische Wandelbarkeit zu beobachten, ist eines der spannendsten Vergnügen im Prime Time Theater. Anfangs schrieb Constanze Behrends jede Woche eine neue Episode, doch schon nach kurzer Zeit hatte „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ Kultstatus erreicht und sie begannen, die einzelnen Folgen an mehreren Abenden aufzuführen. Ständige Umzüge in größere Säle markieren die Erfolgsgeschichte. Im Herbst 2005 ging es in einen Saal mit 70 Plätzen in der Christiania, Osloer – Ecke Prinzenstraße, ein Jahr später in ein Wohnzimmerambiente in der Müllerstraße 163 für 135 Gäste und 2009 nur einige Häuser weiter, bis zur Ecke Burgsdorfstraße, in das große Theater, in dem sie noch heute spielen. 230 Personen finden auf den Sesseln und Stühlen Platz, darunter Stauraum für ihre Mäntel und Taschen. Große, von Lichterketten umrahmte Schilder über dem Eingang künden die neuen Folgen an. Wie in allen Spielstätten davor, werden auch hier an der Bar Buletten, Brezeln und GWSW-Cocktails angeboten. Im Foyer steht immer noch die Kleiderstange mit den bunten Plastikbügeln und an der Tür begrüßt Oliver Tautorat wie eh und je alle Gäste mit Handschlag, streicht sie höchstpersönlich aus der Vorbestellliste und beruhigt den Tumult um die Plätze, der regelmäßig unter den Wartenden ausbricht, die nicht vorbestellt haben.

Die Besucher schlagen sich nicht um die Karten, weil sie den Fortlauf der Handlung nicht verpassen wollen. Die Handlung ist komplett Nonsens. Sie kommen, weil sie die Figuren wiedersehen möchten. Weil sich ein Abend im Prime Time Theater anfühlt, als gehöre man zu einer großen Familie. Der schwarze Hund trabt durchs Foyer. Wer öfter kommt, erkundigt sich nach der kleinen Tochter von Constanze Behrends und Oliver Tautorat. Zur Geburt brachten die Fans bergeweise Geschenke. Paare haben sich hier gefunden, später wieder getrennt, aber es kommt vor, dass sie anrufen, Karten bestellen und fragen, ob der andere auch? Und im Theater macht man sich die Mühe, nachzusehen, ob der andere auch.

Neun Jahre nach der Gründung des Theaters lässt Constanze Behrends ihren Mann, ihre Tochter, das Kindermädchen und den Hund häufiger zurück, um zu Dreharbeiten nach Köln zu reisen. In der ARD-Serie „Zwischen den Zeilen“ des Unterhaltungsformats „heiter bis tödlich“ spielt sie Jennifer, die Sekretärin und Assistentin einer Lokalredakteurin, die Kriminalfälle aufdeckt, gespielt von Josephine Schmidt. Die Serie wird im nächsten Frühjahr anlaufen. „Wie lustig darf’s denn sein?“ fragte sie beim Casting. „So lustig sie können“, lautete die Antwort. Behrends war die lustigste, vielleicht auch die schönste, einfach die Beste. Schon 2009 hatte sie ihr Fernsehdebüt in „Switch Reloaded“ gegeben. Sie drehte hochschwanger. Sie ist ehrgeizig, war sie schon immer, schon als sie als Beste ihres Jahrgangs das Abitur in Gräfenhainichen machte. Ärztin hat sie werden wollen, glücklicherweise aber früh bemerkt, dass ihr dieser Beruf nicht komisch genug ist. Nach zwei Semestern wechselte sie zur Theaterwerkstatt Charlottenburg, einer privaten Schauspielschule in Berlin.

Das Flagschiff im Wedding soll trotz Dreh und Kind im alten Tempo weiterlaufen. Eine Pause kann sie sich nicht leisten. „Wir MÜSSEN spielen, sonst ist ein Loch in der Kasse. Die ständigen Umzüge in neue, größere Räume waren trotz unseres Erfolgs ein finanzielles Risiko.“ 21 Mitarbeiter sind am Theater fest angestellt, Kindermädchen und Kantinen-Mannschaft eingeschlossen. Zum Ensemble gehören seit letztem Herbst vier junge Schauspieler, die direkt von der Schule weg engagiert wurden. Sie alle arbeiten zu den Konditionen eines Stadttheaters. Eine staatliche Förderung bekommt die private Bühne nicht. Constanze Behrends möchte den niedrigen Eintrittspreis von 15 Euro halten. Der größte Teil ihres Publikums lebt in der Nachbarschaft. Noch immer kann man im Wedding halb so teuer wohnen wie in den angrenzenden Bezirken. Es sind also keine gut betuchten Leute, mit denen das Prime Time Theater in nächster Zeit rechnen kann.

Mit „Liebe, Leid & alle meine Kleider“ ist Behrends ein Hingucker gelungen. Sie konnte auch Gayle Tufts verpflichen. Gayle Tufts sagt, es sei eine Ehre für sie, im Prime Time Theater zu spielen. Es habe dieses New York – Feeling, wie sie so klein angefangen haben, mit selbst gemachten Buletten und so schnell erfolgreich wurden.

Am Nachmittag vor der Premiere hat Constanze Behrends ein langes Interview auf Radio Eins gegeben. Sie sagte, dass mit diesem Interview ein Traum für sie in Erfüllung ginge. Eigentlich seltsam, dass sie erst jetzt, nach neun Jahren, so viel Sendeplatz in einem Berliner Radio bekommt. Berlin ist eben nicht New York. Das Bezirksamt hat ihnen vor zwei Jahren eine Medaille verliehen. Aber eine Medaille wärmt nicht das Herz. Menschen wie Behrends und Tautorat, die permanent an ihr Limit gehen, um ein Unternehmen wie dieses lebendig zu halten, brauchen den ständigen Zuspruch der Stadt, das permanente Interesse der Medien.

Ehrgeizig ist Constanze Behrends, aber keine Perfektionistin, genial, manchmal genial daneben. „Wir haben nicht geprobt“, sagt Gayle Tufts. Eine Besucherin der Premierenfeier hebt anerkennend ihr Sektglas in Richtung der Regisseurin. „Und dass alles, obwohl ihr kaum geprobt habt!“

„Es wurde wenig geprobt“, sagt Alexander Ther. Er und seine Lebensgefährtin Jenny Bins sind nicht zur Premiere gekommen. Einen Tag vorher sitzen sie in einem Weddinger Café bei einem Glas Tee. Alexander Ther war von der zweiten Folge von GWSW im Prime Time Theater dabei. Er spielte unter anderen Onkel Ahmed. Jenny Bins kam ein Jahr später dazu. Jahrelang waren die beiden die Hälfte des Ensembles. Es hat nie eine Erklärung des Theaters gegeben, als sie im letzten Herbst überraschend gingen, kein Abschiedswort. Sie erzählen von Streitigkeiten, Aussprachen, einer Mediation und der Kündigung. „Es hat nicht mehr gepasst“, sagt Constanze Behrends knapp. Vielleicht hatte sie Schwierigkeiten wie diese im Sinn, als sie im Radiointerview sagte, dass sie damals mit 22 Jahren nicht geahnt hat, was auf sie zukommen würde, dass sie das Theater sonst vielleicht nicht gemacht hätte. Aber nein, natürlich würde sie es immer wieder tun, sagt sie auf der Premierenfeier. Sie habe andere Dinge gemeint: die Steuern, Verordnungen, Gesetze und Aufführungsrechte, den ganzen bürokratischen Apparat eben. In diesem Kreis aus vertrauten Freunden, während der Feier, im urigen Ambiente der Kantine, wirkt sie fröhlich wie ein Schulmädchen nach dem Abi-Ball, wie ein nettes Mädchen, das die Nachbarn grüßt, wenn es sie im Treppenhaus trifft. Dass sie die Nachbarn parodiert, wenn sie die Wohnungstür hinter sich zugeworfen hat, sieht man ihr wirklich nicht an.

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