Das grüne Steak

Berliner Zeitung

JoergUllmann
Jörg Ullmann

Foto ⓒ Kirstin Knufmann

Algen werden immer wichtiger. In der Medizin, in der Kosmetikbranche- und irgendwann auch in Lebensmitteln. Was sie alles können, wird in der Altmark erforscht. Dort steht der größte Fotobioreaktor der Welt

Was passiert, wenn in einer alten Schäferei fünfhundert Kilometer Glasröhren verlegt werden? Nun, es könnte sein, dass hier, im altmärkischen Städtchen Klötze, gerade über das Essen der Zukunft entschieden wird. Draußen weiden friedlich Schafe, drinnen sausen in einer Nährlösung Mikroalgen durch die Röhren, die schon bald dem Fleisch als Proteinspender ernsthaft Konkurrenz machen könnten. „Die Alge Chlorella vulgaris zum Beispiel enthält Vitamin B12, Eisen, ungesättigte Fettsäuren und bioaktive Substanzen, die in der Medizin zum Einsatz kommen könnten“, sagt der Biologe Jörg Ullmann. Ullmann ist 39 Jahre alt, geboren wurde er in einem kleinen Ort in Waren an der Müritz, studiert hat er in Leipzig und Oslo. Er ist ein Vollzeit-Forscher, der selbst im Urlaub nach seltenen Arten taucht oder in abgelegenen Gebirgsgegenden das Überleben in freier Natur trainiert. Jetzt ist er Betriebsleiter des größten Fotobioreaktors der Welt.

Sie sind überall: im Meer, an Baumrinden, in Pfützen, auf Verkehrsschildern. Und sie tragen das Potential, den Hunger in der Welt zu stillen.
Der Biologe aber spricht ganz unaufgeregt über sie. Vielleicht liegt eine gewisse Erschöpfung in Ullmanns Stimme, weil er so oft über die Einzeller spricht, auf Kongressen und Konferenzen. Es vergeht kein Monat, an dem sich nicht irgendwo auf der Welt Wissenschaftler treffen, um über Mikroalgen zu reden und was man mit ihnen machen kann. Die Zahl der wissenschaftlichen Beiträge in Magazinen und Blogs ist in den letzten Jahren explodiert. Werden wir in Zukunft Algensteaks essen? „Ist im Moment noch zu teuer“, sagt der Biologe. „Für ein Kilo Fleisch zahlen sie zwischen 5 und 10 Euro. Dieselbe Menge Chlorella kostet das Zehnfache.“ Allerdings in der Trockenmasse. Hinter dem Fotobioreaktor, neben der kleinen Kombüse, in der an Monitoren Temperatur, Wachstum der Algen, Ph-Wert und CO2-Gehalt überwacht werden, befindet sich die Anlage, in der die Biomasse getrocknet wird. Unter der Düse liegt Chlorellastaub, ein Rest von der letzten Ernte. Das süß duftende Pulver ist so fein, dass es an den Händen klebt und sich sofort in die Hautrillen setzt. Er leuchtet in einem warmen Grün. „Die Chlorella vulgaris ist die Pflanze mit der höchsten bekannten Konzentration an Chlorophyll.“ Das erklärt ihre intensive Farbe. „Sie ist nur eine von zirka vierzigtausend Mikroalgen-Arten, die bisher entdeckt wurden. Wir gehen davon aus, dass es zwischen drei – und vierhunderttausend Arten gibt“, sagt Ullmann. „Wir stehen noch ganz am Anfang.“
Nehmen wir an, man könnte diesen Staub mit Wasser und Mehl vermengen, so dass die Masse auf zwanzig Prozent Protein verdünnt würde –ungefähr so viel Eiweiß enthält Kalbfleisch- dann wäre der Preis schon nicht mehr so hoch. Klingt nicht besonders appetitlich, aber wir stehen ja noch ganz am Anfang. Das hier ist übrigens kein Labor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, auch nicht die Forschungsstätte eines Exzellenzclusters der Biotechnologie. Wir befinden uns in einem Betrieb des französischen Lebensmittelkonzerns Roquette, in Klötze in der westlichen Altmark. Jörg Ullmann ist der Betriebsleiter. Klein ist die Stadt Klötze, doch für Algenforscher kann es keinen spannenderen Arbeitsplatz geben. Der Fotobioreaktor auf dem Gelände der ehemaligen Schäferei ist der größte der Welt. Er wurde Ende der Neunzigerjahre von Karl-Hermann Steinberg, dem letzten Umweltminister der DDR, entwickelt. Jörg Ullmann stieg im Jahr 2004 als Vertriebsleiter in die Bioprodukte Prof. Steinberg Produktions – und Vertriebs GmbH & Co KG ein. „Die Orte, in denen ich gelebt habe, sind im Laufe meines Lebens immer kleiner geworden“, erzählt Ullmann lachend.
Als Ullmann hier ankam, war alles noch ganz ruhig. Flaches Land. Wiesen. Ein paar Wälder. Die Schafe blökten. Nichts als Chlorella in den Röhren. Zwei bis drei Ernten die Woche. Der Umsatz stieg. Und dann kam Roquette. Den französischen Managern müssen Dollar – und Eurozeichen in den Augen geblitzt haben, als sie durch die Algenfarm schritten und das gepflegte Labor besichtigten. Im Jahr 2008 übernahmen sie. Sofort riefen sie ein eigenes Forschungsprogramm ins Leben: Algohub®. „Das größte europäische Programm zur Erforschung von Mikroalgen“, sagt Ullmann.

Mikroalgen – ein unbekannter Kontinent wird eingenommen und aufgeteilt. Wer in die Forschung investiert, hat die Nase vorn. Roquette ist groß genug um mitzubieten. Mit Stärken, Zucker, Ballaststoffen und Proteinen aus pflanzlichen Rohstoffen macht das Unternehmen einen Jahresumsatz von drei Milliarden Euro. In der Stärkeproduktion ist Roquette die Nummer zwei in Europa, weltweit die Nummer fünf. An Algohub® partizipieren französische Lebensmittel -, Naturkost – und Kosmetikfirmen und private Institute, insgesamt dreizehn Partner. Sie stehen in einem weltweiten Wettlauf um Wirkstoffe für Medizin, Kosmetik, Nahrungsmittel und um die Technologien zur Herstellung. Es wird wie verrückt patentiert.

Im Forschungslabor in Klötze blubbern dunkel – und türkisgrüne, rote und nussbraune Algenkulturen in Plastiktüten, die an medizinische Infusionsbeutel erinnern. Das dreiköpfige Laborteam von Jörg Ullmann erforscht, unter welchen Bedingungen diese Algen am besten gedeihen. Die Rotbraune sei eine Kieselalge mit dem Namen Phaeodactylum, sagt Ullmann und erzählt, dass das Dach der Hagia Sophia in Istanbul aus versteinerter Phaeodactylum besteht. Über Algen in Literatur, Kunst und Geschichte erzählt er in seinem Blog „Die Welt der Algen“. Dort erfährt man auch, dass eine der biblischen Plagen in der Apokalypse die Rote Tide beschreibt, das massenhafte Auftreten giftiger Algen, und dass eine altmärkische Künstlerin ihre Farben aus Algen herstellt. Was die Ergebnisse des fünfjährigen Algohub®-Programms betrifft, hält er sich bedeckt. Über die türkisgrüne und die rote Alge im Blubberbeutel darf er nicht sprechen. Er verrät auch nicht, für welche Produkte jetzt in Klötze Algen produziert werden. Die Aufträge kommen aus der Pharma – und der Kosmetikindustrie. „Wenn beispielsweise eine Kosmetikfirma in ihrem Labor einen Algenbestandteil entdeckt hat, der in einer Hautcreme verarbeiten werden soll, dann beauftragen sie uns mit der Produktion dieser Alge.“

In einem kleinen, unscheinbaren Regal befindet sich das neue Kapital von Roquette, einige Algenstämme in Glasröhrchen. Zum Teil stammen sie aus der Algenstamm-Sammlung der Universität Göttingen, mit zirka 2.250 Algen – und Cyanobakterienstämmen ein der drei größten Sammlungen der Welt. In den letzten zehn Jahren stieg die Nachfrage nach Ablegern aus der Sammlung zu privaten Forschungszwecken um ein Viertel an. Da immer mehr Unternehmen Kapital aus den Algen schlagen, möchte die Universität nun Lizenzverträge einführen. „Einige der Algen werden in Göttingen seit 60 Jahren aus Steuermitteln am Leben erhalten und bearbeitet. Das sind Schätze, die wir einer Firma, die damit Gewinn macht, nicht einfach spottbillig überlassen können“, sagt Maike Lorenz, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sammlung. Wem gehören die Algen? Das ist letztendlich die Frage, mit der sich die Universität in eine juristische Grauzone begibt, wenn sie Verträge mit Firmen abschließt. Für Christoph Then, Geschäftsführer von Testbiotech e.V., einer Organisation, die sich kritisch mit den Folgen der Biotechnologie auseinandersetzt, ist die Antwort klar. „Sie müssen nur der erste sein, der die Mikroalge entdeckt, die DNA beschreiben und die Inhaltsstoffe, dann gehört sie ihnen. Mikroorganismen können problemlos patentiert werden. Das wird auch überall gemacht“, sagt er.

Jörg Ullmann widerspricht. In seinen Augen sind Mikroalgen Pflanzen, die ebenso wie Tiere durch das deutsche Recht vor Patentierungen geschützt sind. „Wenn ich einen neuen Elefanten entdecke, kann ich ihn doch auch nicht patentieren“, sagt er.

Dann kündigt er einen Blick in die Zukunft an und hinaus geht es, über den Hof , vorbei an den Schafen zu einem fensterlosen Bau aus Beton. In einem Raum neben der Tür, in einer Art Pförtnerloge, sitzt ein Mann mit lässig übereinander gelegten Beinen vor einem Monitor. Ein anderer reicht uns Schutzbrillen. Der erste Blick in die Zukunft ist dunkel. Dann löst sich ein kleiner Silo aus der Finsternis. „Ein Fermentor“, erklärt Ullmann. „Roquette ist spezialisiert auf Fermentation, das heißt auf die Umwandlung von Substraten aus Getreide. Hier trifft die Technologie von Roquette die Algen. Wir produzieren ohne Licht, nur mit einer organischen Kohlenstoffquelle, in diesem Fall mit Dextrose, in einer Woche, wofür wir drüben im Reaktor zwei bis drei Monate brauchen.“ Ullmanns Stimme ist lebhaft geworden. Nicht jede Alge würde in diesem lichtlosen Behälter grün, aber einigen gelänge es, auch im Dunkeln Chlorophyll zu entwickeln. Warum einige das tun und andere nicht, wisse man noch nicht. Fest steht, dass wir dem Algensteak für alle einen Schritt näher gekommen sind, auch wenn einige hefeblass in der Pfanne liegen werden. „Es kann vorteilhaft sein, dass das Grün fehlt“, sagt Ullmann. „Viele mögen kein Grün in Lebensmitteln.“ Vielleicht wird man an der Theke ja wählen können: Ein Roquette grün bitte! In Lestrem in Nordfrankreich werden schon jetzt Silos für die industrielle Produktion aufgebaut.

Auf der Algohub®-Website verspricht Roquette eine Revolution in Nahrung und Gesundheit. Die Vielfalt der Algen soll weiter erforscht werden, hochwertige Mikroalgen produziert und Nahrungskomponenten extrahiert werden. Saubere Wassertropfen, gesunde Pflanzen und Menschen illustrieren das Versprechen. Man muss tief in die Archive tauchen, um Spuren von Zweifel zu finden. In den Siebzigerjahren äußerten zwei Ernährungswissenschaftler der Universität Gießen, Wagner und Siddiqi, Bedenken. Mikroalgen hätten die Eigenschaft, Schwermetalle aus ihrer Umgebung zu absorbieren. Sie seien zu stark kontaminiert, um als Nahrungsmittel zu taugen. Jörg Ullmann kennt das Problem, wie alle Fachleute, die sich mit Algen beschäftigen. Nur der Verbraucher weiß davon nichts. „Wir haben hier in Klötze einen eigenen Brunnen. Wären wir auf Leitungswasser angewiesen, könnten wir einpacken.“ Tatsächlich bestätigt das Institut Fresenius, dass die Algenpräparate aus Klötze frei von Schwermetallen sind. Der letzte Umweltminister der DDR hat dem französischen Konzern durch seine sorgfältige Standortwahl einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Als Forschungsdirektor der Preussag AG erhielt Steinberg Mitte der Neunzigerjahre den Auftrag, etwas gegen die hohen CO2-Emissionen des Konzerns zu unternehmen. Er entwarf eine Anlage, die mit Mikroalgen arbeitete. Als das Pilotprojekt nach drei Jahren Forschungsarbeit lief, wurde seine Idee nicht mehr gebraucht, denn aus dem Energieriesen Preussag AG wurde der Reisekonzern TUI. Steinbach nahm seine Patente mit, suchte Sponsoren und baute den Fotobioreaktor in Klötze auf. Die anhaltinische Landesregierung unterstützte das Projekt. Im Jahr 2000 ging die Anlage in Betrieb. Bereits ein Jahr später war Steinbergs Unternehmen insolvent. Der Trend, Algen zu essen, schwappte gerade erst aus Asien nach Europa. Er war ein paar Jahre zu früh gekommen. Aber er gab nicht auf, konnte wieder Unterstützer gewinnen und unternahm 2004 mit 63 Jahren den zweiten Versuch. Der Professor hat gerade einen neuen Fotobioreaktor erfunden, der bald in Klötze getestet wird. Er findet nicht gut, dass einige Firmen nur einen Bestandteil einer Alge nutzen und den Rest weg werfen. Er ist immer noch der Meinung, dass es besser ist, die ganze Alge zu essen, am besten die Chlorella vulgaris. Sie wurde übrigens 1889 von Martinus Willem Beijerinck in den Niederlanden entdeckt, zu einer Zeit, als es noch außer Frage stand, dass Mikroalgen niemandem gehören. Genauso wie Elefanten.

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