Kathrins Notiz-Blog 17. Juli 09

© Illustration Liane Heinze

Wir haben einen ganzen Nachmittag am Flussufer verbracht. Wir lagen auf den Kieseln am Ufer in der Sonne.

Die Bäume wurzeln unsicher am Fluss. Ihre Zweige schwanken auf den Wellen. Sie suchen Halt auf dem Wasser. Sie suchen Halt am Himmel. Sie suchen Halt aneinander. Sie haben nichts als ihr Holz. Die Schiffe ziehen vorüber. Als ich die Bäume am Fluss sah, wusste ich, dass wir weiter nach Leons Mutter suchen müssen.

Leon vergrub seine nackten Füße im Sand.

„Vielleicht ist sie bei Paul?“

Er schüttelte den Kopf. Eines war uns klar: Sie würde nie wieder zu dem Mann zurückkehren, der ein kleines, zähes Geräusch mit seinem Bart machte.

„Lass uns zur Ostsee fahren. Sie liebt das Meer“, sagte Leon.

Wir brachen sofort auf. Während Leon einen Wagen besorgte, rief ich Jolanda an. Sie kicherte. Jemand kitzelte sie, während sie telefonierte. Im Hintergrund krakeelten ihre Freunde. „Wir lernen.“ Sie gluckste.

„Ist ein Brief vom Arbeitsamt gekommen?“

„Ist mir nicht aufgefallen.“

„Was heißt ‚aufgefallen’? Etwas Unauffälligeres als einen Brief vom Arbeitsamt kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Unauffällig und  böse.“

Jolanda schnaufte. „Warte, ich schau in den Zeitungen nach.“

Ich hörte Papier rascheln und Musik. Plötzlich sehnte ich mich nach ihr. Es macht mich glücklich, wenn Jolanda kichert. Es ist kein Klein-Mädchen-Gegacker. Ihr Kichern hat Raum und Wärme. Wenn Jolanda kichert, muss ich immer an diese weichen, dunklen Gummitiere denken, die man zwischen den Zähnen halten und langziehen kann. Ihr Kichern macht süchtig.

„Keine Sorge. Nix gekommen.“

Wir fuhren mit offenem Dach zwischen Rapsfeldern hindurch. Der Wind peitschte die Haare gegen die Wangen. Leon steuerte den Wagen. Ich legte meine Hand in seinen Nacken. Wir sprachen nichts. Wir waren angekommen, auf dieser Fahrt, auf dieser Landstraße, auf dieser Suche.

Spät am Abend fanden wir ein Zimmer in einem Gehöft in einer kleinen Ortschaft. Auf dem Hof lebte ein Mann allein. Auf seinem Küchentisch lag ein toter Hase.

Er reichte uns den Schlüssel. Wir krochen in das kalte Bett. Leon zog meinen Po an seinen Bauch. Ich betrachtete die Sterne über der Halbgardine aus Spitze und wartete auf den Schlaf. Mein Herz pulste gegen das Laken.

Ich wollte schauen, was der Mann in der Küche machte und wand mich vorsichtig aus Leons Armen. Er war sofort wach, wie immer, wenn ich meinen Po von seinem Bauch löse. „Was ist?“

„Kann nicht schlafen.“ Ich öffnete die Zimmertür und blickte hinaus in den Hof. Alle Fenster waren dunkel. Hinter einem der vielen Fenster hockte der Mann, wahrscheinlich schlaflos. Der Hase auf dem Tisch kühlte indessen weiter aus.

„Jetzt kann ich auch nicht mehr schlafen“, jammerte Leon.

„Na komm, es wird gehen.“ Ich huschte zurück ins Bett, platzierte meinen Po wieder an der richtigen Stelle und wartete. Leon schnarchte leise.

„War sie Tänzerin?“, fragte ich.

„Sie war Hochseilartistin.“

„Im Zirkus?“

„Ja.“

„Sie hatte einen Wagen?“

„Schlaf jetzt.“

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