Kathrins Notiz-Blog 26. Januar 10

© Illustration Liane Heinze

Froschkinn schaukelte die Luft zwischen Unterlippe und Kinn, während sein blasser, dicker Zeigefinger das Rädchen der Maus traktierte. Der Beruf heißt: Innenarchitekt. Froschkinn sagte, dass es keine Maßnahme gibt. Mit einem leisen Pfeifen entwich die Luft aus seinem Mundbeutel. Sein Kinn war wieder platt wie ein Fahrradreifen. Sein Zeigefinger lag jetzt reglos auf der Maus. Er blickte ununterbrochen auf den Monitor, als fürchte er, dass unversehens doch noch eine Maßnahme aufblinken und ihm Arbeit verursachen könnte.

„Wie kann ich Innenarchitektin werden?“ Ich wollte so schnell nicht locker lassen. Ich dachte an Leon, der niemals locker lässt. Vergangenen Herbst zum Beispiel waren wir in einer Gegend gelandet, die so finster war wie Draculas Rachen. Als wir endlich eine Haltestelle ertastet hatten, weigerte sich der Fahrer unsere Räder mitzunehmen. Dabei war der Bus leer. Wir waren die letzten Ausflügler, die zurück in die Stadt wollten. Eine halbe Stunde lang hatte Leon auf den Busfahrer eingeredet. Seine Argumentation hatte zivilen Ungehorsam, die Verkehrsopfer auf den Brandenburger Straßen, Nazis und couragierte Widerstandskämpfer eingeschlossen, bis der Busfahrer endlich nachgegeben hatte, stolz darauf, zu den Widerstandskämpfern gegen den Faschismus zu gehören.

„Sie haben Berufserfahrungen als Verkäuferin, Callcenter-Agentin, gärtnerische Hilfskraft und Putzfrau“, las Froschkinn und blähte sich wieder auf. „Bunt.“ Das Wort entwich ihm kaum hörbar mit der Luft. Es klang wie ein Aufstoßen.

Ich nahm mir vor, erst von dem Stuhl aufzustehen, wenn er eine Maßnahme für mich gefunden hätte. Aber wie lange könnte das dauern? Zwei Stunden? Bis zu dem Moment, in dem er den Computer endlich ausschalten und mich vielleicht einmal ansehen würde? Ich hatte Zweifel, das durchzuhalten. Ich wollte raus. So schnell wie möglich. Wie kalt es auch immer war. Selbst fünfzehn Grad Frost waren leichter zu ertragen als der Mief bei Froschkinn.

„Was raten sie mir?“

„Wie gesagt: Wir haben da nichts im Angebot.“ Es war wie in einem Gemüseladen in der DDR.

„Ich könnte mich selbständig machen.“

Froschkinn nickte langsam. „Bringen sie einen Business-Plan. Dann reden wir darüber. Wäre eine Maßnahme.“

Business-Plan. Idiot! Ich ärgerte mich, dass ich wieder nicht aufmüpfig gewesen war. Leon hatte inzwischen dreimal angerufen. Ich rief ihn zurück. Er erzählte aufgeregt, dass er in einem großen Einrichtungshaus war, dass er mit dem Chef über mich gesprochen habe, dass der begeistert sei und mich kennenlernen wolle. „Geh am besten gleich dahin. Und fordere ein gutes Gehalt.“

Das Möbelgeschäft befand sich in den oberen Stockwerken eines Stalinbaus in der Karl-Marx-Allee. Kurz bevor ich eintrat, warf ich einen flüchtigen Blick in das Schaufenster. Als ich vor dem Lift stand, zögerte ich, nach oben zu fahren. Etwas in dem Fenster hatte mich gefangen genommen. Ich ging zurück. Es war so etwas wie ein Raumteiler. Seine Struktur ähnelte Fischschuppen. Sie leuchteten in Grün – und Blautönen, ich konnte nicht genau erkennen, ob die Fischhaut aus Glas oder Plastik war.

Ich fuhr mit dem Lift nach oben. Der Aufzug öffnete sich. Ich befand mich in einer schallgedämpften Einrichtungswelt. Es war licht wie in der Kugel des Fernsehturms. Musik von Air schwebte über allem.

Auf dem weichen, trockenen Teppich trat ich in den Raum, schritt zwischen Sofas und riesigen Vasen hindurch. Eine schlanke Frau blickte streng von ihrem Schreibtisch auf. Sie fragte, ob ich Kaffee oder grünen Tee möchte, oder nur ein Wasser. Sie verschwand hinter einer glitzernden Metallic-Bar und setzte die Espresso-Maschine in Gang. Ein dünner Mann schlenderte auf mich zu. „Kann ich helfen?“ Er hatte Mühe mit einer Haarsträhne, die ihm immer wieder über die Brauen rutschte. Ich sagte, dass ich mit dem Filialleiter verabredet bin. Er musterte mich. „Der ist nicht da. Er kommt heute auch nicht mehr. Worum geht es?“ Die Espresso-Maschine hinter uns setzte mit einem Höllenlärm an, Crema auf mein Tässchen zu pressen. Ich berichtete von dem Gespräch zwischen Leon und dem Filialleiter. Der Mann grinste. Er wurde rot. Leon hatte gar nicht mit dem Chef gesprochen, sondern mit ihm, dem Assistenten. Der Assistent sagte, dass es sich um ein Missverständnis handeln müsse. Sie suchten gar niemanden. „Schauen Sie doch wieder vorbei“, sagte er.

Ich erkundigte mich bei der Frau nach dem Preis für die Fischschuppen-Trennwand. Vierhundertneunundfünfzig Euro. Ich trank den Espresso und überlegte, ob ich sie sofort kaufe oder noch eine Nacht darüber schlafe.

„Wie hast du den Laden entdeckt?“, fragte ich Leon.

„Im Vorbeifahren. Die hatten gute Sachen im Fenster. Da war so ein gläsernes Ding…“

„Die Fischschuppen?“

„Genau.“

„Magisch, nicht? Hast du sie gekauft?”

„Ich bin doch nicht verrückt. Ich möchte nicht wissen, was die kosten.”

Ich schaute auf meinem Konto nach. Ich würde meinen Dispo bis zum Anschlag ausreizen. Es geht also.

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