Kathrins Notiz-Blog 14. April 11

© Illustration Liane Heinze

Als die Sonne am letzten Wochenende den Schmutz auf den Fensterscheiben bloßlegte, leuchtete sie auch in einige staubige Windungen meines Geistes. Dort flusten Zweifel: Dass es mit dem eigenen Büro nicht klappt. Bin ich überhaupt der Typ für so was? Hatte ich nicht immer schon das Problem, zu wenig präsent zu sein, in Gesellschaften, auf Fotos, in Arbeitskollektiven? Jolandas Bild der Trümmerfrau kam mir in den Sinn. „Ein Wesen ohne Namen. Verhärmt, grau, Asche“, hatte sie gesagt. Wieso höre ich nichts von Kolja? Wartet er darauf, dass ich erneut in seine Familien-Idylle einbreche? Glaubt er, weniger schuldig zu sein, wenn ich die Initiative ergreife?

Ich fühle mich von dem knalligen Grün in den Parkanlagen verhöhnt. Ich mag meine Lippenstifte nicht mehr. Wie von Sinnen ziehe ich durch Drogerien, probiere hier und da, als könnte eine neue Farbe auf meinen winterblassen Lippen das Problem lösen. Ich finde nichts. Keine Farbe passt zu mir. Ich bin draußen. Ich bin einundvierzig Jahre alt. Es ist längst zu spät für mich.

Ich habe Leon gebeten, zu bleiben, wenigstens diese eine Woche, bis es Sommer wird und mein Herz sich beruhigt. Er sagte, er müsse sofort zu Jan nach Amsterdam. Jan hätte ein Grove aus Amerika bekommen.

„Du hast doch schon ein Foto gesehen“, sagte ich. „Auf ein paar Tage kommt es doch nicht an.“

„Fotos zählen nicht“, sagte Leon.

Um nicht allein zu sein, verabredete ich mich am Mittwoch zum Arbeiten mit Jolanda in der Bibliothek. Sie paukt gerade Forensik. Ich schreibe an einer Arbeit über Gestaltungsmöglichkeiten von Räumen mit dem Ziel der Stromeinsparung.

„Die Garage“, sagte Leon am Mittwoch beim Frühstück. Er trank den Kaffee im Stehen. Er legte sich einen Schokoriegel auf sein Croissant. „Jetzt ist Hochbetrieb.“

„Das fällt dir ziemlich früh ein“, sagte ich.

„Könntest du…?“ Er trippelte nervös.

„Ich muss diese Arbeit nächste Woche abgeben und noch mindestens zweihundert Seiten zu dem Thema lesen.“

Er meinte, ich könne doch auch in der Garage lernen. So viele Kunden kämen ja doch nicht. Ich könne auf dem Hof in der Sonne sitzen. Es wäre doch alles da, was ich brauche: Kaffeemaschine, Internet, Licht.

In diesem Moment pustete ein Sturm die Staubflusen aus meinem Kopf. Ich wusste wieder ganz klar, was ich will. Ich sagte: „Nein.“

Er heulte auf. Es war das übliche. Jeder denke doch nur an seinen Arsch und ich bastele an meiner Selbstverwirklichung. Mit Jolanda würde ich doch eh nur in der Sonne sitzen und Kaffee trinken. Ich packte meine Sachen und knallte die Tür hinter mir zu.

„Das hättest du doch nun wirklich für ihn tun können“, sagte Jolanda, als wir mittags in der Mensa saßen.

„Ich kann doch nicht in dieser Garage arbeiten. Stell dir vor, du müsstest morgen in einer Garage arbeiten.“

„Stelle ich mir cool vor“, sagte Jolanda. „Dann hätte ich kein schlechtes Gewissen, wenn ich zwischendurch mal was anderes machen muss.“

In der Nacht rief Leon aus Amsterdam an. Er entschuldigte sich. Er sei nicht fair gewesen. Er sagte, er habe gesehen, dass es mir nicht gut geht und bemühe sich, so schnell wie möglich wiederzukommen. Es sei nicht so schlimm, wenn die Garage mal drei Tage geschlossen bliebe. Er fragte, ob ich gut gearbeitet hätte.

Heute und morgen sitze ich mit meinen Büchern und dem Laptop in der Garage. Bisher sind noch nicht viele Leute gekommen. Eine kaputte Lampe. Ein platter Reifen. Ein schlaffes Schaltwerk. Ich halte die Tür geschlossen, weil es so kalt ist und trinke Tee in kleinen Schlucken. Es tut mir gut, mit schmutzigen Fingernägeln zu lesen.

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