Herr von Gigantikow

Reinhard Zabka ist mit seinem Lügenmuseum nach Radebeul gezogen. Dort registriert er mehr Neugier, aber er polarisiert auch in Sachsen

Reinhard

Foto: © Amac Garbe/ Dresden/ www.ein-satz-zentrale.de

Lügenmuseum heißt der Ort, ein staubtrockener Name, der nur als Tarnung gedeutet werden kann für die Poesie dieses funkelnden, blinkenden, surrenden, singenden und klingenden Universums. Es ist, als gerate man in die eigenen Träume, als stürze man aus den Mechanismen der Zeit in ein Wunderland. Aus einem alten Koffer bläst Wind, bringt ein nacktes Lampengestell zum Erzittern, worauf ein kaltes Funkeln durch die Einweckgläser und Spiegelscherben huscht.

Das Schiff

Foto: © Amac Garbe/ Dresden/ www.ein-satz-zentrale.de

Ein Westminster gongt. Federn streichen über Trommelhaut. Plötzlich strahlt Elvis acrylkitschig aus einer Sperrholzgruft. „Never dead“ steht auf der Tür. Vor seinem Gesicht bammeln einige Erdnussflips von der Decke. Der Trip geht weiter, vorbei an Schreinen, bis zum Anschlag gefüllt mit buntem und grellweißem Licht. Ein fliegender Teppich schwebt kurz vor der Landung. Am Schluss, links der Bücherecke mit Fontanes Wanderschuh, geht es in den DDR-Gang: Stapel zerfledderter Schwarz-Weiß-Fotos, Orden und Bänder, triste Konsumgüterschachteln, Porträts von Honecker und Siegmund Jähn, begleitet von einem fröhlichen Pionierchor und einem Schaf, das aus einer Spielzeugtrommel blökt. Auch hier ist also die DDR. Sie fügt sich ein. Erstaunlich, dass das funktioniert. In der Abteilung DDR herrscht dieselbe Ästhetik wie im Rest des Lügenmuseums.

Im Lügenmuseum ist die DDR-Geschichte nur eine Geschichte unter vielen. Diese Kompositionen aus weg geworfenen Dingen, Licht und Klang sind Kunst, große Kunst. Das Lügenmuseum ist eine Galerie, eine Installation oder mehrere Installationen, die ineinander fließen, strömende Poesie. Es sollte geschützt und bewahrt werden, am besten in einem Tempel der Hochkultur, im Louvre oder im Dresdner Albertinum. Doch das Museum von Reinhard Zabka befindet sich in einem verfallenen Gasthof in Radebeul bei Dresden.

An einem verregneten Montagmorgen sitzt Zabka an seinem kleinen Arbeitstisch in der ehemaligen Gaststube. Er hebt den Laptop dicht an die Bleiglasfenster, um von irgendwoher ein Fetzelchen Internet zu erwischen, um seine Emails verschicken zu können. Er braucht jetzt dringend die Hilfe einflussreicher Freunde. Sein Museum ist wieder einmal in Gefahr. Der Bürgermeister von Radebeul sagt, es gäbe hier Leute, die Zabka am liebsten in der Luft zerreißen würden. Zabka ist 62 Jahre alt. Er trägt die grau-gestreiften Haare zu einem Zopf gebunden. Seine orangefarbene Strickjacke ist abgetragen, die Brillengläser lösen sich aus dem Rahmen. Eine neue Brille sei jetzt zu teuer, sagt er. Auf dem Tisch neben dem „Feng-Shui für notleidende Banken“, einem Tai-Besen, der in einem Korb rotiert,  hockt reglos die Katze Mitzi, ein dicker Staubwedel, ein Mischling aus Perser und Waldkatze.

Zabka findet, dass der alte Gasthof im Radebeuler Ortsteil Serkowitz der ideale Ort für sein Lügenmuseum ist. Er hat ihn selbst ausgewählt. Alles hier würde stimmen, sagt Zabka, die Größe des Hauses, der Ort und seine Geschichte. Zwei Jahre lang hat er nach einem neuen Zuhause gesucht, in Luckau und Ribbeck, sogar in Berlin, obwohl er lieber jenseits der Metropolen ist, auf dem Land, ungestört, allein mit der Katze Mitzi.

Im Jahr 2010 wurde er aus dem alten Lügenmuseum vertrieben. Es befand sich in Gantikow, einem brandenburgischen Dorf in der Nähe der Stadt Kyritz. Das Haus in Gantikow war freundlich und hell. Zabka hatte die Wände und Türen farbig gestrichen. Er lebte dort. Das Lügenmuseum in Gantikow, sein Lebenswerk, war weithin bekannt.

Den Gasthof in Radebeul darf Zabka vorerst nur als Lager nutzen, aber er darf sein „Lager“ Besuchern zeigen. Zabka versucht gerade, sich hier einzurichten. Es gibt eine Küche, ein Waschbecken zum Zähneputzen und Toiletten. Sein Bett schlägt er irgendwo im Museum auf. Am meisten vermisst er den Telefonanschluss. Manchmal ist das Stromnetz überlastet. Dann bleiben die Apparaturen plötzlich stehen und es wird dunkel.

Auch an diesem Morgen ist die Radebeuler Gaststube etwas düster. Zabka will raus, einen Spaziergang durch die Elbwiesen machen. Er hält es kaum noch aus hier drinnen. Die Dunkelheit macht ihn depressiv. Zabka schleppt noch einen Rest seines thüringischen Dialekts in der Stimme. Er ist in Erfurt geboren, wo er eine Ausbildung als Fernmeldemechaniker machte, dann zu malen begann, mit anderen Künstlern ein gemeinsames Atelier in der Taubengasse mietete und sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlug. Er war Heizer, Gärtner, Passbild-Ausschneider und Eis-Verkäufer. So ein Lebensstil war in der DDR nicht vorgesehen, erst Recht nicht die Aufmüpfigkeit dieses Ost-68ers. Zabka wurde der Personalausweis der DDR weggenommen. Er bekam einen PM12, einen Ersatzausweis, der wöchentlich auf einer Polizeidienststelle verlängert werden musste, nicht irgendwo, sondern dort, wo der Träger des Dissidenten-Papiers polizeilich gemeldet war. Trotzdem brachte Zabka es fertig, nach Berlin umzuziehen. „Aber das geht doch gar nicht“, sagte die Polizeibeamtin in Berlin. „Es geht. Ich bin jetzt hier“, sagte Zabka. Er bekam seinen Stempel.

Zabkas Renitenz, sein Unbehagen in den gesellschaftlichen Wirklichkeiten vor und nach dem Mauerfall stecken als Sprengkraft in seiner Kunst. „Mit dem Lügenmuseum habe ich eine Form gefunden, die Ängste in den Systemen zu verarbeiten, indem ich die Systeme selbst der Lächerlichkeit preisgebe“, sagt er. Ein nutzloser Baum möchte er sein, im Sinne des Gleichnisses, das Lao-Tse erzählt. Der nutzlose Baum wurde stehen gelassen, weil sein Holz keinen Wert besaß. Auf diese Weise blieb er den Menschen erhalten. Sie fanden weiter Schatten unter ihm und konnten seine Früchte ernten. Leben versus ökonomische Verwertbarkeit. Wer nicht nach dem Nutzen und Sinn des Lügenmuseums fragt, spürt den Atem dieses Organismus.

Nun steht der „nutzlose Baum“ in Radebeul, einem kleinen Städtchen in unmittelbarer Nachbarschaft zum kunstsinnigen Dresden. Idyllisch ist dieses Radebeul mit den Elbwiesen und Weinhängen, gesäumt von Villen. Die Bürger der Stadt pflegen Lebensart. Sie können es sich leisten. Radebeul hat die höchste Arbeitsplatzdichte Sachsens. Mehr als die Hälfte aller Kinder besucht das Gymnasium. Radebeul hat die meisten Musikschüler der Region. Die Radebeuler kennen Zabka. „Ist das der mit dem Labyrinth auf den Elbwiesen zum Weinfest?“ Freundliches Lächeln. Das Lügenmuseum wurde in der Presse euphorisch begrüßt, da hatte Zabka, der sich auch Richard von Gigantikow nennt, noch gar keinen Mietvertrag in der Tasche. An den ersten zwanzig Wochenenden seit seiner Ankunft im Herbst 2012 zählte Zabka mehr Besucher als in Gantikow in einem ganzen Jahr. Es ist anders als in Brandenburg, wo zwar alles erlaubt ist, aber niemanden interessiert. Die Dresdner haben Angst, eine wichtige Neuigkeit in der Kunstszene zu verpassen. Einige sind ratlos, viele begeistert. „Ich habe hier nicht das Gefühl, dass mir jemand etwas sagen will, dass ich irgendeine Botschaft verstehen muss“, sagt ein junger Besucher aus Dresden. „Die Dinge sind einfach da, weil sie gut sind. Man kann sich hinstellen und von diesen alten Dingen lernen. Es riecht nach Staub und Holzpflege wie bei meinen Großeltern. Es ist eine Kindheitsidylle.“

Auch der Radebeuler Bürgermeister Bert Wendsche wünscht sich, dass Zabka im Gasthof bleiben kann. Wendsche ist 48 Jahre alt. Er besuchte die Kreuzschule, studierte Pädagogik und Wirtschaft. Schon viele Jahre residiert der Parteilose in dem hohen, stuckverzierten Amtszimmer. Er war schon fünfmal im Lügenmuseum. Er mag es. Er findet, dass Richard von Gigantikow gut in die Kulturlandschaft des Städtchens passt. „Er hat doch eine wichtige Botschaft für uns, nämlich, die Dinge zu hinterfragen.“ Wendsche meint, dass Künstler und Museum eine untrennbare Einheit bilden und findet, dass Zabka besser in den Gasthof als ins Albertinum passt. Zehntausend Euro hat Zabka der Stadt für den Gasthof geboten. „Das Gebäude ist viel mehr wert“, sagt der Bürgermeister. „Der Gasthof Serkowitz ist der älteste Gasthof der Lößnitz und der einzige seiner Art, der noch mit Gaststube und Ballsaal im Obergeschoss erhalten ist.“ Wendsche greift in das Bücherregal hinter seinem Schreibtisch und hat schnell die Seite gefunden, auf der das Jahr der ersten urkundlichen Erwähnung des Gasthofes festgehalten ist: anno 1337. „Die Stadt hat das Gebäude gekauft, um es zu retten. Im letzten Winter haben wir für siebzigtausend Euro das Dach neu gedeckt. Jetzt brauchen wir ein tragfähiges Konzept.“ Der Gasthof ist öffentlich ausgeschrieben, bereits zum dritten Mal. Bisher interessierte sich niemand dafür. Eigentlich war es schon beschlossene Sache, dass man Zabka einen Erbpachtvertrag für den Gasthof gibt. Doch dann forderten einige Abgeordnete ein Gutachten als Beweis, dass das Kunst ist, was da mit öffentlichen Geldern unterstützt werden soll. Zabkas Gegner tauchen entweder im Rudel auf oder bleiben anonym, entziehen sich jeder Nachfrage, beschäftigen sich „noch nicht mit dem Fall“ oder „betrachten ihn als erledigt“ wie Ralph Lindner, der Direktor der Kunststiftung des Freistaates Sachsen. Er schrieb das angeforderte Gutachten für das Kulturamt Radebeul. Er riet „wegen des vorgerückten Alters des Künstlers“ von einem Erbpachtvertrag ab, und fand, dass „die Ansammlung von Flohmarktexponaten…keine tragfähige künstlerische Strategie im Sinne eines Gesamtkunstwerks“ verrät. Er sah gar „das Image der Stadt Radebeul gefährdet“. Erst als Professor Johannes Heisig, Maler und Sohn des Malers Bernhard Heisig, ein Freund und Förderer des Lügenmuseums, sich über das Schreiben empörte, entschuldigte sich Lindner bei Zabka. Ein Praktikant hätte das Gutachten verfasst. „Ich kenne Ralph Lindner eigentlich als einen sehr klugen Mann“, sagt Johannes Heisig. „Ich kann nur spekulieren darüber, wie er zu diesem Urteil kommt.“ Es könne damit zu tun haben, dass Zabka ein Grenzgänger ist, der sich schwer in eine Kategorie packen lässt. Außerdem sei der Kunstbegriff in Deutschland sehr protestantisch. Man erwarte immer einen Sinn, ein gesellschaftliches Engagement von der Kunst, anders als im mediterranen Raum, wo Kunst sehr spielerisch sein dürfe.

Das Gutachten der Stiftung erinnert an die Verwünschungen, die Gantikower Bürger öffentlich in den Medien gegen das Lügenmuseum aussprachen. Man solle Geld sammeln, um Zabka zwei Müllcontainer zu schicken, schrieb dort ein FDP-Mann erbost. Mit Kunst habe das nichts zu tun. Großartig und hoch ästhetisch findet Heisig das Lügenmuseum. „Wir brauchen Zabka“, sagt er. „Aber in diesem Umfang wie in Gantikow wird man es wohl nie wieder zu sehen bekommen.“

Und wenn Zabka nicht genügend Geld für den Gasthof aufbringen kann? „Schauen wir mal“, sagt der Bürgermeister. Mehr kann er noch nicht sagen, aber es klingt vielversprechend. „Ich argumentiere immer, dass ein Künstler, der anlässlich der Olympischen Spiele nach England eingeladen wird, um dort eines seiner Labyrinthe zu bauen, nicht so schlecht sein kann.“

Zabka repariert an seinem engen Schreibtisch Bilderrahmen. Über Geld, über die pragmatischen Dinge des Lebens, mit denen er sich täglich herum schlagen muss, will er nicht reden. Er zitiert Picasso: „Die Kunst ist eine Lüge, die uns helfe, die Wahrheit zu erkennen, aber als Lüge.“ Er trägt Holzleim auf und presst die Seiten des goldenen Rahmens in die Schraubzwinge. „Wenn du begriffen hast, was das bedeutet, dann näherst du dich den tieferen Dingen.“ Aber Lust zum Philosophieren und Streiten hat er eigentlich nicht. Er ist kein Redner, kein Darsteller. Und manchmal wirkt es, als hätte er von den Darstellern und Verkäufern da draußen endgültig die Nase voll, von diesem Markt, auf dem Künstler ständig Präsenz zeigen und zu allem Überfluss auch noch gut gekleidet sein müssen.

Aber er ist beharrlich. Jahrelang hat er um sein Haus in Gantikow gekämpft. Der umstrittene Unternehmer Bert Ludwig und sein Verein „Offene Häuser e.V.“ hatten leichtes Spiel, Zabka zu verjagen. Hätte der Künstler mehr Rückhalt in der Bevölkerung gehabt, vielleicht wäre die Geschichte anders ausgegangen. Hier in Radebeul schaut niemand über den Gartenzaun, um zu prüfen, ob seine Radieschen gerade wachsen. Aber er polarisiert auch hier. Die Blumenhändlerin von nebenan lässt ihn freundlich grüßen und Andrea Meinel, eine ehemalige Mitarbeiterin im Kulturamt, eine schöne Frau von 64 Jahren, betreut das Museum, wenn Zabka am Wochenende mal nach Dresden fährt, um in eine Galerie zu gehen. Sie berät ihn auch im Umgang mit den Behörden. Und sie kennt einen preiswerten Optiker.

Ein Kommentar zu “Herr von Gigantikow

  1. es sind die HÜH und HOD geschichten,.Seid zur Achsenzeid ( karl jaspers).und wenn es gegenwärtig.(heidekker) IST .. wiedermal jetzt…

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