Völlig hingerissen

Wir haben alles, wir brauchen nichts, das Richtige zu schenken ist ohnehin ein kompliziertes Ding. Sind Weihnachtsgeschenke folglich sinnlos? Niemals!
Eleonore Roedel.Katze

Illustration © Eléonore Roedel

Zum Geburtstag habe ich eine dieser Manga-Katzen aus Plastik geschenkt bekommen, die ständig winken. Man sieht sie häufig in Schaufenstern von Asia-Shops. Ich war irritiert, als meine Freundin mir die Katze überreichte. Das konnte eigentlich nur ironisch gemeint sein. Am nächsten Tag trug ich die rote Katze in der Wohnung umher, auf der Suche nach einem Platz, der ausreichend respektvoll ist, an dem sie aber nicht stören würde. Schließlich stellte ich sie im Bad in die weiß geflieste, in die Wand eingelassene Ablage für Klopapierrollen. Ich schaute der Katze eine Weile beim Winken zu und dachte über meine Freundin nach.

Wir hatten uns vor einigen Jahren in der Warteschlange vor einem Theater kennengelernt. Das heißt, es war gar kein Theater gewesen, sondern ein verlassenes Stadtbad, in dem „Das Gastmahl“ von Platon aufgeführt wurde. Als die letzten Plätze am Beckenrand verkauft wurden, war es uns gelungen, zu zweit mit einer Karte in die Vorstellung zu kommen. Sie hatte in dem leeren Pool stattgefunden, auf der Nichtschwimmerseite. Wir waren begeistert gewesen. Von dem Geld, das wir am Eintritt gespart hatten, leisteten wir uns anschließend ein Glas Wein. Wir entdeckten vieles, das uns verband. Wir beide versuchten gerade, weniger zu rauchen. Das versuchen wir immer noch. Wir wohnen im selben Stadtviertel. Wie ich lebt sie in einer Wohnung mit Kelims und Bücherregalen, Flohmarkt- und Ikea-Möbeln. Da wir uns für dieselben Autoren begeistern, kaufen wir alle Bücher gemeinsam und leihen sie abwechselnd aus.

Dennoch war unser Verhältnis von Anfang an schwierig gewesen. Es war immer wieder zu Missverständnissen gekommen. Zuletzt hatten wir uns bei der Vorbereitung eines Sommerfestes über unsere verschiedenen Stile, etwas zu organisieren, verstritten. Sie hatte mir Luschigkeit vorgeworfen, ich ihr ein unangebrachtes Dominanzstreben.

Die Katze lächelte und winkte monoton. Plötzlich empfand ich es als seltsame Koinzidenz, dass ich durch diese Freundin den Künstler Reinhard Zabka kennengelernt hatte, mit dem ich mich einmal über Geschenke gestritten hatte. Zabka betreibt in Radebeul bei Dresden das zauberhafte Lügenmuseum. Damals hatte ich beschlossen, für Das Magazin über ihn zu schreiben. An einem grauen Dezembertag waren wir mit seinem Auto nach Radebeul gefahren. Unterwegs hatte er von einer geplanten Sonderschau erzählt. Er wollte die sinnlosesten Weihnachtsgeschenke ausstellen. Er hatte schelmisch gegrinst.

„Was soll das sein, ein sinnloses Weihnachtsgeschenk?“ hatte ich gefragt. Vielleicht war ich mit der Frage ein bisschen schnippisch rüber gekommen. In jenem Dezember hatte ich ständig darüber nachgedacht, woher ich noch ein bisschen Geld für wenigstens ein paar nette Geschenke auftreiben könnte. Ich liebe es Geschenke zu machen. Zabka jedenfalls fühlte sich von mir angegriffen. Das sei doch wohl klar, sagte er. Es ginge um den ganzen Kram, den niemand brauche, der aber jedes Weihnachten tonnenweise verschenkt und anschließend entsorgt werden müsse. „Es gibt kein sinnloses Geschenk“, hatte ich gesagt. Zabka war beleidigt. Viele Leute würden ihm zustimmen. Die Zahl derer, die mit dem Schenken aufhören, nimmt stündlich zu. Immer mehr Familien verabreden, sich zu Weihnachten keine Geschenke mehr zu machen. Sie begründen das mit dem unerträglichen Konsumrausch in überfüllten Geschäften. Sie fühlen sich gestresst. Sie haben es satt, darüber nachzudenken, was sie denen, die ihnen etwas geschenkt haben, wieder schenken könnten. In einer Gesellschaft, in der jeder Handgriff und jeder Trost seinen festen Preis hat, finden sie dieses Spiel verlogen. Sie pendeln zwischen gut bürgerlichen Haushalten mit Bibliothek und Klassik-Sammlung, deren anspruchsvolle Bewohner alles mit Zucker, weißem Mehl und Alkohol drin verweigern. Was bleibt da noch zu schenken? Nur die Kinder freuen sich nach wie vor über Süßigkeiten und bunten Tand.

Schenken scheint etwas Lächerliches geworden zu sein, das man nur noch wie meine Freundin ironisch betreiben kann. Sonst riskiert man, dem Kreis derer zugerechnet zu werden, die hemmungslos ihre narzisstischen Störungen offenbaren. Die Witzbolde zum Beispiel, die Scherzpakete packen oder die Beschenken auf lange Jagten mit dem Navigationsgerät schicken oder stundenlang einen Geldschein ins Innere von einem Überraschungs-Ei friemeln. Das alles nur, um vor allem sich selbst ein großes Gaudi zu inszenieren. Oder die lästiger Erklärer, die den Gastgeber mit langen und breiten Begründungen beanspruchen, warum sie gerade dieses Buch oder jene Tischdecke gekauft haben oder wieso sie den blau-weißen dem rot-weißen Kugelschreiber vorzogen oder wie lange ihre Online-Suche nach dem ausschließlich mit natürlichen Stoffen gefärbten Marzipan gedauert hat.

Die Delegierer sind meist Männer. Man muss ihnen zugute halten, dass sie zu den wenigen Männern gehören, die tendenziell großzügig sind. Sie lassen ihre Geschenke liefern. Sie packen sie auch nicht selber ein. Sie wollen im Grunde gar nichts mit dem Schenken zu tun haben. Sie wählen nicht einmal selbst aus. Das erledigen Assistenten, Praktikanten oder ein Geschenke-Service für sie. Falls es sich nicht vermeiden lässt, dass sie ein Paket selbst überreichen müssen, wischen sie verlegen auf ihrem Display herum, während du auspackst. Wenn du dich mit einer spontanen Umarmung für das teure Parfüm bedankst, murmeln sie: „schon gut“ und klopfen dir nervös auf den Rücken, als hättest du dich verschluckt. Die Delegierer finden sich enorm wichtig und dominieren jedes Fest mit ihren starken Meinungen. Auf der anderen Seite der Skala finden sich die bedauernswerten Knauser. Auf dem Weg zur Party kaufen sie noch schnell im Discounter das billigste Blumengesteck, an dem alle Blüten noch so fest verknospt sind, dass sie selbst bei guter Pflege nach wenigen Tagen fest verknospt erschlaffen. Die Knauser sind Leute, die am liebsten verschwinden würden. Wenn sie kommen, drücken sie sich an der Wand entlang zum Buffet und hoffen, dass niemand sie anspricht. Ich rede nicht von denen, die wirklich kein Geld haben, wie mein Freund Amir, der mir einmal zu einer simplen Einladung zum Essen zwei Teegläser in roten Plastikeinsätzen mitbrachte. Ich hätte ihm sagen sollen, dass er um Gottes Willen nichts mitbringen braucht. Ich hatte vergessen, dass er aus einer Kultur kommt, in der es selbstverständlich ist, dass man ein Geschenk mitbringt, wenn man zum Essen eingeladen ist.

Früher war das auch hier so. Das weiß ich von meinen Großeltern. Ich liebte, wie sie feierten. Sie verschickten niemals Einladungen. In ihrer Generation war das nicht üblich, außer wenn man einen großen Empfang veranstaltete. Trotzdem war das Haus zu ihren Geburtstagen immer voll. Ihre Freunde kamen einfach. Sie brachten ein kleines Geschenk und einen scherzhaften Spruch über das Älterwerden mit und wussten, dass sie ein gutes Essen und einen lustigen Abend haben würden. Auch dieser schöne Brauch ist mit unseren voll gepackten Terminkalendern nicht mehr zu vereinbaren.

Die Teegläser von Amir haben mich gerührt. Sie waren nicht neu. Vielleicht hatte er sie in seiner WG gefunden oder auf dem Flohmarkt geklaut. Ich halte sie in Ehren. In dem Film „Die Nacht des Jägers“ von Charles Laughton, der in der Zeit der großen Depression in Amerika spielt, freut sich Mrs. Cooper am Weihnachtsabend über die gehäkelten Topflappen, die sie wie jedes Jahr von den Waisenkindern geschenkt bekommt, die sie in ihr Haus aufgenommen hat. Am meisten aber freut sie sich über das Geschenk von John. Er überreicht ihr einen Apfel, den er aus der Obstschale im Nebenzimmer genommen und in das Spitzendeckchen gelegt hat, auf dem die Obstschale stand. Zur Kunst des Schenkens gehört die Kunst, ein Geschenk anzunehmen. Ich kenne eine Künstlerin, die sehr wenig Geld hat, aber eine entzückende Art, sich über Dinge zu freuen, die viele von uns nicht einmal für ein Geschenk halten würden, ein paar kopierte Seiten aus einem Buch beispielsweise. Es macht Spaß, ihr eine Kleinigkeit mitzubringen, weil es Spaß macht zu sehen, wie sich freut. Vielleicht ist es gespielt. Und wenn schon! Es könnte auch echt sein, denn es geht auf die ursprüngliche Gewissheit zurück, dass wir einander brauchen. Meine Mutter weint, wenn ein Geschenk sie besonders berührt. Das sind keine großen Sachen, sondern Kleinigkeiten, die ihr zeigen, dass  jemand wahrgenommen hat, was sie braucht. Vielleicht mache ich deshalb so gern Geschenke, weil ich bereits als Kind erlebt habe, wie gut es tut, starke Gefühle der Dankbarkeit auszulösen. Es gibt eine Sehnsucht nach dem Schenken. Das Engagement für die Flüchtlinge beweist es. Wir verschenken nicht nur gern Dinge, sondern auch uns selbst, unsere Zeit, unsere Begabungen und unser Vermögen, wenn wir spüren, dass das wichtig ist und geschätzt wird. Plötzlich sind mitten unter uns Menschen, die sich über ein Stück Seife, ein Bündel Minze und ein paar warme Socken freuen, denen wir helfen, wenn wir eine Stunde lang Möhren schaben. Letztes Jahr zu Weihnachten gab es in dem Stadtviertel, in dem ich lebe, eine besonders schöne Aktion. Es wurden kleine Schmuckstücke für die Frauen und Mädchen der Flüchtlingsfamilien gesammelt. Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als ob es Dinge gibt, die sie nötiger gebraucht hätten als Ringe oder Ketten. Aber diese kleinen Geschenke drückten aus, dass sie mehr sind als die Empfänger von Almosen. Sie zeigten, dass sie sind wie wir und deshalb in die Normalität unseres Alltags gehören.

Der Mechanismus in der roten Katze verursachte ein leises Knarren. Hatte meine Freundin mir sagen wollen, dass sie die ganze Schenkerei blöd findet? Es erschien mir wie eine infantile Trotzreaktion, Kitsch zu kaufen. Wollte sie mich damit ärgern? Sollte die Katze winken bis ihre Batterie leer war! Eine neue würde ich nicht einsetzen. Vergangenes Weihnachten habe ich im Schlussverkauf einer Parfümerie einen bunt schillernden Tukan in Lebensgröße entdeckt. Ich war völlig hingerissen. Er war nicht gerade billig gewesen und nun auf die Hälfte des Preises reduziert. Vielleicht war das Preisschild ein Trick. Vielleicht hatte er niemals so viel gekostet. Egal. Er war wunderschön. Ich hatte gerade eine Grippe überstanden und fühlte mich noch ein bisschen schwach. In diesem Zustand brach der seltsame, sentimentale Rausch, der „das Weihnachtsgefühl“ genannt wird, angesichts des glitzernden Tukans machtvoll über mich herein. Ich kaufte ihn für meinen Freund. Als ich ein paar Schritte im Einkaufszentrum mit dem Tukan gegangen war, dessen goldener Kopf aus der Tüte ragte, kehrte ich um. Alle Menschen, die ich liebte, mussten so einen Tukan haben. Ich kaufte die letzten zwei. Danach fiel es mir schwer zu entscheiden, wen ich damit beglücken würde. War ich verrückt?

 

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