Skulpturen von Sabina Grzimek in der aktuellen Ausstellung in Sepp Maiers Zweiraumwohnung
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A U G E N B R Ü C K E N
Eine Ausstellung von Antje Neppach und Sabina Grzimek
Laudatio am 17. März 215 in der Galerie im Rathaus Lichtenberg
Der Titel der Ausstellung irritiert. Weil das Wort Augenbrücken einerseits ein flüchtiges Phänomen assoziiert, das des Augenblicks, diesem aber eine feste bauliche Struktur zuordnet. Letztendlich beschreibt das Wort, worum es in dieser Ausstellung geht: Das unsichtbar Flüchtige einzufangen, festzuhalten und zu zeigen.
Wenn wir einander anschauen, entsteht eine Brücke. Manchmal zerfällt sie a u g e n b l i c k l i c h. Aber es geschieht auch, dass wir uns auf die entstandene Brücke wagen, mit ersten unsicheren Schritten. Trägt sie? Aus der Begegnung entsteht möglicherweise eine Freundschaft. Vielleicht mehr.
Die Bildhauerin, Malerin und Grafikerin Sabina Grzimek und die Malerin Antje Neppach leben und arbeiten beide in Berlin. Beide haben ihre Ausbildung an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee begonnen, Sabina Grzimek von 1962-1967, anschließend als Meisterschülerin von Fritz Cremer. Antje Neppach war 1982 Abendstudentin. Sabina Grzimek zeigt in „Augenbrücken“ neben ihren Skulpturen auch Grafiken, Aquarelle und Ölbilder, Antje Neppach große Leinwände und 4 Köpfe.
Sabina Grzimek arbeitet gewöhnlich lange an ihren Skulpturen. Einige reifen jahrelang. Immer wieder wendet sie sich den Gipsmodellen zu, schabt und kratzt die Charaktere frei, spitzt die Botschaften der Köpfe und Körper zu, bis ihre Lebendigkeit den Betrachter anspringt. Die Kinder sind noch weich und rund, ihre Züge gebettet in das Kindchenschema. Niedlich sind sie nicht. Auch ihn ihnen bahnt sich bereits ein Charakter an, den die Bildhauerin aufspürt.
Die Ölbilder von Antje Neppach hingegen entstehen schnell. Wie in einem Tanz, begleitet von Musik, trägt die Malerin die Farben mit den Händen auf. In wenigen Minuten skizziert sie eine Bewegung. Innerhalb einer Stunde ist ein neues Bild vollendet. Bewegung fasziniert sie, die Herausforderung, den Moment einer Bewegung einzufangen und festzuhalten. Auf die Bewegung sind ihre Figuren fokussiert. Antje Neppach sagt, sie male aus dem Bauch heraus, denke beim Arbeiten nicht nach. Deshalb seien ihre Bilder immer auch Resultat ihrer momentanen Stimmung.
Augenbrücke ist der Titel einer Radierung von Sabina Grzimek. Es zeigt zwei Augenpaare, zwischen denen die Augenbrücke wie ein Scheinwerfer gebannt ist. Peitz 2014 steht am Rand. Peitz ist eine kleine Stadt in der Nähe von Cottbus. Eingeweihte wissen, dass dort in der DDR jährlich ein subversives Jazz-Festival stattfand. 1982 zum letzten Mal. Danach wurde es verboten. Im Jahr 2011 wurde die traditionsreiche Jazzwerkstatt neu aufgelegt. 2014 besuchte Sabina Grzimek Jazzkonzerte in Peitz. Außer der Radierung „Augenbrücken“ erzählt sie in einer Serie Ölbilder von den Konzerten. Dort begegnet uns wieder die kraftvolle, gelbe Augenbrücke. Sie reicht von den Augen des Pianisten ins Publikum.
Der Jazz-Pianist Ulrich Gumpert ist häufig in dieser Ausstellung anzutreffen, wie ein verborgener Hinweis auf die Titelgeschichte.
Wir sind durch Augenbrücken miteinander verbunden. Wenn unsere Augen nicht funktionieren, erschaffen Gehör und Hände die Brücke. Wie wir uns anschauen, ansprechen und berühren, führt uns nicht nur aufeinander zu, sondern im Spiegel der fremden Augen zurück zu uns selbst.
In dem Raum mit den Bildern vom Jazzkonzert gibt es auch einen Kopf von Sabina Grzimek mit dem Titel „Getasteter Kopf“. Auch das Selbstporträt von ihr – es befindet sich in diesem Raum vor dem Fenster – hat sie, nachdem sie mit mehreren Spiegeln zuerst versuchte, das ungenaue, weil seitenverkehrte Spiegelbild ins Wahrhaftige zu drehen, die Spiegel schließlich beiseite gestellt und ihre Gesichtszüge ertastet, um von dem rein optischen Arbeiten weg zu kommen.
„Der Schmerz, die Sehnsucht, die Sehnsucht vor allem…“, sagt Sabina Grzimek. Das sei die Motivation ihrer täglichen Arbeit. Aber sie sieht sich auch als Chronistin. Ihre Arbeiten erzählen von uns. Die Codes, die wir selbst nicht wahrnehmen, weil wir in unserer Zeit gefangen sind, werden die Generationen nach uns entschlüsseln. Sabina Grzimek hat viele Plastiken für den öffentlichen Raum geschaffen, nicht nur in Berlin, aber in Berlin unter anderem das Gerhard-Hauptmann-Denkmal in Erkner, die Liegende und stehende Gruppe am Lützowplatz, das Liegende Paar im Prater… um nur einige wenige zu nennen.
Der Mann mit Vogel – was ist in ihm über uns codiert? Er hält den Vogel wie eine Trophäe. Er ist stolz, denn wer hat je einen Vogel so gehalten wie er? Das Verhältnis zwischen dem Mann und dem Vogel ist genau gewichtet. Der Mann scheint leichter zu werden mit dem Vogel auf seinen Händen, er scheint sich zu erheben, aber er steht mit beiden Füßen auf dem Boden. Der Vogel hebt ihn nicht empor, aber der Mann streckt sich, als wollte er sich mit dem Vogel in die Luft erheben. Der Vogel bleibt für diesen Moment bei dem Mann. Vielleicht schauen sie sich an. Vielleicht ist dem Mann wichtiger, dass andere ihn anschauen.
Augenbrücken entstehen auch zwischen Mensch und Tier. Sie führen in eine gänzlich andere Welt und auf dem Weg zurück begegnen wir unserer Sehnsucht: So stark zu sein! So schnell! Fliegen können!
Die Malerin Antje Neppach sucht die Brücke in die Welt der Tiere. Sie besitzt eine Jahreskarte für den Tierpark. Sie fährt mit ihrer Staffelei und der Farbpalette dorthin und malt mit den Händen nach ihren lebenden Modellen. Besonders Vögel faszinieren sie. Sie stehen natürlich nicht Modell, auch nicht gegen Futter. Ihre schnellen Bewegungen sind kaum vorhersehbar. Sie flattern der Künstlerin davon. Aber sie hat die Bewegung bereits eingefangen, hält sie fest. Sie ist die Jägerin, die schneller sein muss als das Tier.
Antje Neppachs künstlerischer Weg führte von der Kunsthochschule Berlin-Weißensee über die Kunstakademie Wackers in Amsterdam, wo sie Malerei studierte und anschließenden Studienaufenthalten in den USA, Kanada und Mexiko zurück nach Berlin, wo sie an der Hochschule der Künste Bildende Kunst studierte. Seit 1999 ist sie freischaffend.
Charakteristisch sind die warmen erdigen Braun – und Rottöne ihrer Bilder. Passend zur unberechenbaren Bewegtheit ihrer Modelle -Flamenco-Tänzerinnen und Vögel- erinnern sie auch an Feuer, an Flammen. Die Figuren entwickeln auf der pulvrigen Oberfläche, die immer noch ein bisschen farbig staubt wie Insektenflügel, eine enorme Plastizität. Manchmal will man gar nicht glauben, dass die Figur wirklich in der Fläche bleibt und nicht aus dem Bild heraus modelliert wurde.
„Warum malst du nicht mal Blau?“ wurde sie häufig gefragt. Sie hat es ausprobiert, aber es war nicht ihre Farbe. Offenbar verlangt der Tanz als ihre Arbeitsweise diese erdigen und feurigen Farben, in deren Schutz sich die Figuren oft zurück zu ziehen scheinen und den Betrachter mit den Armen abwehren.
Wenn sie diese kontrastreiche Ausstellung in diesen schönen, großen Räumen jetzt betrachten, nutzen sie die Gelegenheit des Abends, mit den beiden Künstlerinnen ins Gespräch zu kommen, ihnen Fragen zu stellen und ihnen Ihre Gedanken über die Werke mitzuteilen.
Haben Sie den Mut, Ihre Augenbrücken zu betreten.