no norway part II. but pan kow.

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Pan Kow in respektloser Fremdverkleidung? „Der Schreitende“ von Rolf Biebl im U-Bahnhof Vinetastraße.

Ich wollte weniger arbeiten, wenn ich schon nicht nach Norwegen geflogen bin. Aber ich arbeite doppelt so viel wie sonst.

Am Dienstagabend verlasse ich ziemlich hungrig kurz vor acht das Büro. Es wird schwierig, jetzt noch einen offenen Laden in Pankow zu finden. Der an der Ecke Berliner Straße hat schon zu. Immerhin ist er sehr zuverlässig von Donnerstag bis Samstag auch in der Nacht geöffnet. Das ist in Pankow nicht selbstverständlich. Unsere gesamte Bürogemeinschaft liebt den Laden an Ecke. Wir gehen mehrmals täglich dorthin. Wir könnten quasi schon mitreden, wenn die Verkäuferinnen und Verkäufer murmelnd während des Kassiervorganges oder lautstark über das Mittelregal hinweg über abwesende Kolleginnen und Kollegen herziehen. Hier kaufen junge und alte, gut situierte und bettelarme Menschen ein. Sie alle leben in diesem Kiez noch zusammen.

Ich hoffe, dass der Tante-Emma-Laden in der Florastraße noch offen hat. Notfalls gibt es am S-Bahnhof den neuen Edeka, gerade noch klein genug, um das Single-Dasein nach acht zu verkraften.

Als ich durch die Heynstraße radele, gerate ich ins Schlingern angesichts einer nagelneuen, weißen Markise, die aus den verwilderten Vorgärten wächst. An der Hauswand darunter verkünden Schilder einen Concept Store, Gallery und Bistrot, Chocolaterie, Art & Italian food. Das Fenster ist mit einem goldenen Muster verziert. Der Laden sieht aus wie ein Ufo, das in der stillen, verwunschenen Heynstraße notgelandet ist. Eigentlich sind hier selten Menschen anzutreffen, es sei denn, die Feuerwehr zieht ein zerquetschtes Auto unter einem umgestürzten Baum hervor, wie vor zwei Wochen. Der Unfall ereignete sich ungefähr in Höhe des Heimatmuseums. Das Ufo befindet sich gegenüber dem Kleidergarten, dem vermutlich letzten Laden Berlins, in dem eine Designerin selbst genähte Kleidung verkauft. Ihre Kreationen verströmen das Lebensgefühl der Achtzigerjahre. Der Kleidergarten ist selten geöffnet. In Pankow öffnen Läden und Cafés eigentlich nur, wenn die Inhaber gerade Lust dazu haben. Neoliberaler Präsenzzwang setzt sich hier einfach nicht durch. Der Inhaber des Tante-Emma-Ladens hat glücklicherweise noch Lust. Unter dem Ufo-Schock erscheint mir sein Angebot jedoch simpel und einfallslos. Was soll ich denn essen, wenn ich großstädtisch-elegant und italienisch und dünn werden will? Ich entscheide mich für kleine Rote Beeten, die der viele Regen schon etwas aufgeweicht hat und einen Apfel. Dann fahre ich zurück in die Heynstraße. Die Tür des Store steht offen. Im Halbdunkel des Raums erkenne ich einen Tresen, auf dem Gläser mit weißen Kugeln stehen. Das könnte eine Süßigkeit sein. Oder Nährstoff-Kügelchen für Hydro-Pflanzen, die morgen erst angeliefert werden. Ich trete ein und erblicke einige Tische. In der Ecke sitzt eine kleine Gruppe in gemütlicher Runde beieinander. Eine attraktive, blonde Frau in einer weißen Rüschenbluse löst sich daraus und kommt mir entgegen. Es sei noch nicht wirklich geöffnet. Sie befänden sich gerade in einer Testphase. Ich könne mich aber gern umsehen.

Ich frage nach der Kunst. Die blonde Italienerin führt mich durch die Ausstellung.

Die Bilder und Skulpturen lösen eine deprimierende Gleichgültigkeit in mir aus, die mich wütend macht. Es könnte an der Art liegen, wie Gold und Glitzer und steriler Neobarock um Aufmerksamkeit heischen und wie sie mir marktschreierisch als schön und besonders aufgedrängt werden. Eine Skulptur besteht komplett aus rosa Kaugummi. Ich darf sie anfassen. Sie ist klebrig. Sie habe etwas Regen abbekommen, erklärt die Besitzerin. Sie stellt sich vor: Allesia. Sie lädt mich zu einem Glas Wein ein. Wirklich nett. Der Kellner Andrea spricht noch nicht Deutsch. Das wäre ja auch zu komisch, dass ein Italiener Deutsch lernt, bevor er zum Arbeiten nach Berlin kommt. Wieder einmal bietet sich die wunderbare Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, wie gut wir Berliner Englisch sprechen und wie weltoffen selbst Pankow geworden ist. Andrea bringt kleine Pasten und Salamiröllchen und hauchzartes Knabberbrot. Allesia macht Bemerkungen über Körper und Essen und Gewissen und Radfahren und ihre Jeans, nervend banaler Smalltalk. Ihre Jeans sind toll, ihr Schmuck ist hinreißend, ihr Parfüm unvergesslich. Die Banalität des Luxus. Der Berliner Manager, der ihnen den Laden besorgt und alles mit gebaut und eingerichtet hat, verleiht den Salamis, die Andrea bringt, Noten. Seine Nummer eins ist eine Leberwurst, keine gewöhnliche, sondern eine, die wirklich komplett aus echter Leber gemacht ist. Sie hat die Konsistenz von Bitterschokolade. Alessias Mann, den sie „amore“ nennt und der sich jetzt zu uns an den Tisch setzt, erklärt, dass alles in ihrem Geschäft Kunst sei. Die Lebensmittel kämen aus kleinen italienischen Manufakturen. Außer in der Heynstraße in Pankow gäbe es sie nur noch in Italien. Auch die Tischplatten seien käufliche Kunstwerke. Jetzt sehe ich, dass die Teller, Schälchen und Gläser auf einem Bild aus Plexiglas stehen. Und die kleinen Blüten an den Wänden, die sind aus Zwiebelschalen, von einer Künstlerin, die ausschließlich mit Naturmaterialien arbeitet.

Ich frage mich, ob der italienische Concept Store im vertrödelten Pankow eine Überlebens-Chance hat. Er würde gut in Charlottenburg gehen. Auch in Mitte ist er vorstellbar, aber Pankow liegt mental immer noch jenseits von Berlin. Pankow fühlt sich an wie Dresden. Obwohl ich glaube, dass der Laden selbst in Dresden auf dem Weißen Hirsch besser angelegt wäre als hier. Übrigens bedeutet der Name Pankow, den die slawischen Ureinwohner ihrem Dorf gaben, soviel wie „Herr des Hains“ – Pan Kow. In der heutigen Parkstraße soll es auf einem Hügel eine Kultstätte für Pan Kow gegeben haben, genau dort, wo später eine kleine Kapelle errichtet wurde, in der heute ein bekannter Schauspieler mit seiner Familie wohnt.

Die slawischen Ureinwohner wurden vermutlich nicht so freundlich von den französischen Zisterzienser-Mönchen und den Deutschen bewirtet, die sich später in ihrem Ort ansiedelten, wie der Pankower Manager und ich von den Italienern. Es geht uns wirklich gut.

Seit das Ende des Tegeler Flughafens angekündigt wurde, ist beinahe jede Brache und Häuserlücke in Pankow bebaut worden. Gartenlauben wurden abgerissen und mehrstöckige Wohnhäuser an ihre Stelle gesetzt. Viele gut betuchte Leute aus dem Westen haben sich in Pankow eine Wohnung gekauft. Nicht wenige wohlhabende PrenzlBerger sind in den Nachbarbezirk geschwappt. Aber sie alle haben den Charakter des Ortes kaum verändert. Noch immer gehen die Pankower zu Bett, wenn es drüben in Berlin erst richtig losgeht.

Die Besatzung des italienischen Ufos weiß noch nicht, wie schlecht sie beraten wurden. Der Berater hingegen grinst und lässt sich die Salami schmecken. Bald ist der Erdgeschossladen wieder frei. Dann kann er die nächsten Fremdlinge reinlegen und bekommt vielleicht französische, portugiesische oder kreolische Spezialitäten aus der Karibik als Dank für seinen Job angeboten. Der Berlin-Boom scheint kein Ende zu nehmen. Ich habe den heimlichen Verdacht, dass es der Geist von Pan Kow ist, der den Erbauern des neuen Großstadtflughafens permanent das Hirn vernebelt. Er will offenbar, dass die Flugzeuge weiter über seinen Hain brummen, in demselben Korridor, den auch die Zugvögel zweimal jährlich nehmen. Warum? Ganz einfach: Damit die Ufos der Häuser- Kunst- und Wurstspekulanten ganz schnell wieder aus Pankow verschwinden.

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