Einsteins Spuk am Strand

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Auf Hiddensee habe ich ein Buch über Quantenphysik durchgeschmökert. 

Zuvor hatte ich im Radio gehört, dass es chinesischen Wissenschaftlern erstmalig gelungen ist, zwei miteinander verschränkte Lichtteilchen so weit voneinander zu trennen, dass eines auf der Erde „stationiert“ sein kann und das andere in einem Satelliten um die Erde kreisen könnte. Abgesehen davon, dass ich gerührt war vom Schicksal der zwei eng miteinander verschränkten und nun so weit voneinander entfernten Teilchen, lief mir eine Gänsehaut über den Rücken, als ich hörte, dass dieses Pärchen in einer Verbindung steht, als existiere dieser gigantische Raum zwischen ihnen gar nicht. Erhält nämlich eines von ihnen eine Information, ist sie zeitgleich bei dem anderen. Die Entwicklung der chinesischen Wissenschaftler ist deshalb so gefeiert, weil es nun möglich sein wird, völlig abhörsichere Funkverbindungen herzustellen. Ist ja klar. Die beiden kleben so dicht aneinander, dass keine Störung sie jemals stören kann. Aber wie ist das über so eine weite Trennung möglich? Ich meine, Liebende kennen das ja. Sollte es tatsächlich eine wissenschaftliche Erklärung dafür geben?

Ich las „Einsteins Spuk“ von Anton Zeilinger. Er ist einer der Wissenschaftler, denen es zuerst gelang, jene rätselhafte von Einstein entdeckte Verbindung der Photonen im Labor nachzuweisen, und zwar in Wien, unter der Donau. Einstein selbst mochte seine Erkenntnis nicht. Er nannte das Verhalten der Lichtteilchen „spukhaft“.

Durch „Einsteins Spuk“ erfuhr ich noch viel abgefahrenere Dinge. Nicht nur, dass die Zwillings-Photonen schneller als das Licht Informationen hin und her beamen, sie nehmen ihre Eigenschaften NACHWEISLICH erst im Moment ihrer Messung oder Beobachtung an. Diese närrischen Krümel veralbern uns auf Schritt und Tritt, nach dem Motto: Guckt gerade einer? Dann bin ich heute grün! Und morgen rot! Erst, wenn sie angeschaut werden, entscheiden sie sich, wer oder was sie gern sein möchten. Das könnte glatt eine Verschwörungstheorie sein, wenn es nicht inzwischen in zahllosen Versuchen bewiesen worden wäre.

Falls jemand von euch noch glaubt, dass die Welt ganz unabhängig von uns so existiert, wie wir sie beobachten und messen, hängt er einem ziemlich überholten Weltbild an, das Quantenphysiker „lokaler Realismus“ nennen. Folgender Dialog soll zwischen Niels Bohr und Albert Einstein stattgefunden haben: Einstein: „Wollen Sie etwa behaupten, der Mond existiere nicht, wenn niemand hinschaut?“ Bohr: „Können Sie das Gegenteil beweisen?“
Nein. Niemand, nicht einmal Einstein konnte bisher beweisen, dass die Welt unabhängig von unserer Beobachtung überhaupt existiert. Auch wenn wir eine Kamera hinstellen, die den Mond filmt, während wir gar nicht durch den Sucher schauen, haben wir das Gerät doch gemäß unserer Wahrnehmung eingestellt und programmiert.

Ich lief am Strand entlang und dachte darüber nach. Kein Ort ist besser geeignet, sich Fragen über Raum und Zeit zu stellen, denn unter der Größe des Meeresrauschens schrumpft die Zeit. Der Grund, warum unser Weltbild nicht längst revolutioniert wurde, ist, dass die Entdeckungen der Quantenphysik mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben. Zu Kopernikus Zeiten war das anders. Er lieferte ein neues Weltbild. Das alte war abgelöst.

Ich stelle mir vor, wir leben in einem Bild, in einer Art verdichteten Wirklichkeit, die alle unsere Sinne anspricht. Gleichzeitig erschaffen wir gemeinsam dieses Bild, in dem das stattfindet, was wir Leben nennen. Es gab immer Menschen, die wussten, dass die Wirklichkeit eine Folge unserer Gedanken ist. Viele von ihnen wurden verbrannt. Vielleicht sind sie alle noch da. Wenn die Zeit nicht existiert? Oder nur in diesem kleinen Bildausschnitt, den wir die Welt und das Leben nennen? Jemand sagte einmal, ich könne mich an meine Ahnen anlehnen. Sie seien alle für mich da. Ich sollte mir ihre lange Reihe vorstellen, die Großmütter hinter meiner linken Körperseite, die Großväter hinter der rechten. Ich stellte mir diese lange Reihe vor, wie wenn du zwischen zwei Spiegeln stehst und dich selbst unendliche Male siehst. Vielleicht sind wir miteinander verschränkt. Vielleicht verändern sie sich alle in dem Moment, in dem ich mich verändere. Jede Information, die ich aufnehme, ist zeitgleich bei ihnen. Und umgekehrt vielleicht auch.

Was sind Raum und Zeit?

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