Im Gegenwind, im Fluss

Hinter dem Horizont…
Kunst der DDR aus den Sammlungen des Staatlichen Museums Schwerin

6. Juli – 7. Oktober 2018

Blick in die Ausstellung "Hinter dem Horizont" im Staatlichen Museum Schwerin

Blick in die Ausstellung „Hinter dem Horizont…“ im Staatlichen Museum Schwerin. Links an der blauen Wand das „Bildnis Andrea P.“ (II) von Clemens Gröszer (1985). Rechts an der weißen Wand „Merwürdiger Wolkentag“ von Susanne Kandt-Horn (1978/1980), dahinter Rudolf Austen „Wrack im Meer“ (1970). Die Skulptur im Gang  stammt von Karin Sakrowski.  Sie trägt den Titel „Kopf mit hohem Haar“ (1986/87.) Das Bild an der blauen Frontwand zeigt Holger Stark während der Aktion „Törnen“, Foto: Gundula Schulze Eldowy. 

Karin Sakrowski und Holger Stark sind übrigens zum Künstler*innengespräch am 13. September 2018 in der Ausstellung. (Infos am Ende des Beitrages)

Erleichterung macht sich breit zwischen den himmelblauen Wänden. Hier wird niemand belehrt. Nirgendwo eine Anleitung, wie Kunst aus der DDR gelesen werden muss. Und es wird auch nicht in Staatskünstler und Widerständler unterteilt. Überhaupt teilen und werten die Kuratorinnen Kornelia Röder und Deborah Bürgel nicht. Sie zeigen die Komplexität und Bandbreite des künstlerischen Schaffens in der DDR in ihren Widersprüchen. Darauf verweisen bereits die Überschriften zu den Kapiteln der Ausstellung, z. B. ANTIPODEN: REALISMUS – ABSTRAKTION. BETRACHTUNGEN ZUR SCHWERINER SAMMLUNG. Oder: FREIRÄUME UND FLUCHTPUNKTE. ZWEI BEISPIELE AKTIONISTISCHER KUNST DER 1980ER JAHRE IN MECKLENBURG.

25 Jahre später wird klar, wie zeitlos berührend viele in der DDR entstandenen Werke sind. Die rätselhafte Situation der „Kahnfahrer“ von Wolfgang Mattheuer (1970), das Porträt „Christine“ von Volker Stelzmann aus dem selben Jahr, das eine selbstbewusste, doch skeptische junge Frau zeigt, der hastig verlassene Tisch mit der auf der Tischkante abgelegten glimmenden Zigarette neben dem aufgebrochenen Pillenröhrchen, voll gekritzelten Notizzetteln und einer Tasse schwarzen Kaffees (das Zuckerstück liegt noch auf der Untertasse), das „Frühstück eines Funktionärs“ von Christoph Wetzel von 1972 oder der indifferente, erschöpfte Ausdruck des „Jungen Paars“ von Thomas Ziegler, gemalt 1975 – in diesen Bildern spiegeln sich emotionale und existentielle Zustände, die heute noch gültig sind.

Den Ausstellungsmacherinnen ging es in erster Linie darum, die Kunst aus dem Schweriner Archiv in einen gesamtdeutschen Kontext und in den Fluss europäischer Kunstgeschichte zu stellen. Das erste Kapitel: EINFLÜSSE DER KLASSISCHEN MODERNE verweist nicht nur auf die Usedomer Maler der ersten DDR-Generation, u. a. Otto Manigk, Herbert Wegehaupt und Vera Kopetz,

sondern zugleich auf die geistige Herkunft dieser Künstler, bevor Stalinismus, Formalismus-Debatte und der Vorwurf des Kosmopolitismus über sie hereinbrachen. Theo Balden, ein Bauhaus-Schüler von Lászlo Moholy-Nagy und Oskar Schlemmer, war im Widerstand gegen die deutschen Nazis  und musste schließlich das Land verlassen. Er kehrte nach dem 2. Weltkrieg zurück und lehrte in den Fünfzigerjahren an der Kunsthochschule Weißensee. Auch er gehört in die Ahnenreihe des ersten Kapitels der Ausstellung. Seine Skulptur führt in den Raum SINNLICHKEIT SKULPTUR, der dem Bildhauer Wieland Förster gewidmet ist. Förster wurde die Meisterschüler-Zeit bei Fritz Cremer noch 1961 wegen des „Formalismus“- Vorwurfs gekündigt. Lange Zeit konnte er nicht ausstellen und wurde in seiner Arbeit behindert, führte sie aber dennoch unter Schwierigkeiten fort. Ende der Siebzigerjahre änderte sich seine Situation. Er wurde zum Vizepräsidenten der Akademie der Künste gewählt und war fortan für die Ausbildung von Meisterschülern zuständig.

„Die Rosa“, ein Porträt der Rosa Luxemburg war Auftragskunst. Die Malerin Heidrun Hegewald malte es 1987 für die X. Kunstausstellung der DDR in Dresden. Doch dem Ministerium für Kultur gefiel ihre Auffassung der Rosa Luxemburg dann doch nicht. Sie verbannten „Die Rosa“ ins Archiv des Schweriner Museums.

Arbeiten von Hermann Glöckner, René Graetz, Horst Bartnig und Willy Wolff, entstanden zwischen den Fünfziger – und Siebzigerjahren, zeigen die Vielfalt und Qualität abstrakter Kunst. Diese Künstler hielten Widerstand aus, aber sie arbeiteten. Sie stellten aus.

Besonders vorbildlich ist die Schweriner Mailart-Sammlung. Mailart war für viele Künstler in der DDR eine Möglichkeit, humorvolle, satirische Kommentare zu artikulieren und sich international zu vernetzen.

Einige Arbeiten, die den sozialistischen Realismus der Aufbaujahre repräsentieren, wurden in einen geschlossenen, jedoch durchlässigen Raum platziert, in den die Betrachter*innen hineintreten müssen, um die Bilder anzuschauen. Die einengende und ausschließende DDR-Kulturpolitik in dieser Burg-Situation zu veranschaulichen, ist eine wunderbare Idee. Draußen fließt das Leben, die Kunst weiter.

Einer der spannendsten Teile der Ausstellung stellt zwei Beispiele von performativer, aktionistischer Kunst der Alternativen Kunstszene der DDR aus den späten 80er Jahren vor: „M. Überschreitet den See bei Gallenthin“, die provokante Aktion, in Fotos festgehalten und das daraus resultierende gleichnamige Tryptichon des Künstlers Michael Morgner und der Künstlergruppe Clara Mosch war einfach zu viel des Neuen. Sie durften nicht öffentlich gezeigt werden. Die Pleinairs der jungen DDR-Künstler wurden zu Orten, an denen der Staat von innen zu zerbröseln begann. Die Funktionäre wussten, dass dort am Ende ihrer Macht gekratzt wurde.

Holger Stark war nach der Aktion „Törnen“ Ende der Achtzigerjahre Anfeindungen ausgesetzt und wäre wohl von der Kunsthochschule in Dresden geflogen, hätte sein Professor sich nicht schützend vor ihn gestellt. Ein 8 Millimeter-Film, entstanden im Rahmen der „Törnen“ – Aktion, ist in der Ausstellung zu sehen. „In Bewegung – ein Reisebericht“ zeigt in poetischen Bildern, wie ein Künstler auf engem Raum, unter spärlichen, widrigen Bedingungen nach Ausdrucksmöglichkeiten sucht und wie sie sich ihm überall bieten. Er malt mit dem Blut eines zerlegten Fisches, mit dem dünnen Mitropa-Kaffee auf Tische und Fenster. In Bewegung gewinnt die Welt an Farbe, wenn auch nur für wenige Momente, in einem Zug der Deutschen Reichsbahn der DDR. Am Ende seines Berichts ist der Künstler zu Hause, am Meer. Mit ausgebreiteten Armen läuft er auf die Ostsee zu, einem Fährschiff hinterher, das an einen unerreichbaren Ort unterwegs ist, irgendwo in Skandinavien.

Die Bewegung – ein Reisebericht from Holger Stark on Vimeo.

 

Karin Sakrowski, Sighard Gille, Ruth Tesmar und Holger Stark sind am 13. September, ab 18 Uhr zu einem Künstler*innengespräch in der Ausstellung zu Gast. 

Themen des Gesprächs werden ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen in der DDR und deren Einfluss auf ihre Kunst sein. Wie reflektieren die Künstler ihre heutige Situation? Besucher haben die Möglichkeit, sich mit ihren Fragen in das Gespräch einzubringen.

Kornelia Röder und Deborah Bürgel, Kuratorinnen der Ausstellung, moderieren das Gespräch.

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