25 Jahre Mauerfall oder: Stehlampen für alle!

Berlin Rosenthaler Platz

Das hat die Berliner mal wieder überrascht: Dass jemand in die Stadt kommt und wissen will, wo die Mauer gestanden hat! Und dass jemand und jedermann sogar freiwillig entlang der Lichtgrenze mehrere Kilometer läuft! Damit hatte man wirklich nicht gerechnet. Die Jogger waren empört, dass Fremde auf ihre Parkwege drängen. Allgemeines Unverständnis, als ein Radfahrer in der Schönhauser Allee nach der East Side Gallery fragte. Und erst die Familie aus Südbrandenburg, die in der S-Bahn bei jeder Station rätselte, ob das nun Osten oder Westen ist!

Was für ein seltsames Jubiläum das war! Eine ernste, brave Masse schob sich auf dem von Townhouses und BND-Festung um etliche Meter versetzten Mauerweg, stand ehrfürchtig vor Schaukästen und Videowänden, auf denen schwülstige Dokus liefen. Kein Straßenmusikant, keine Stelzenläufer, Seiltänzer, Performer und Zauberkünstler, wie sie sonst am Rand großer Feste und Paraden das eigentliche Berlin vertreten? Kein Aktivist mit einem Aufruf zur Revolution.

Nach dem schnellen, blassen Verschwinden der Ballons im Nachthimmel hatten die Berliner nur noch eins im Sinn: Das Wasser aus den Lampenfüßen auf den Fußweg oder die Brücke kippen und die Gestelle flink Huckepack nach Hause tragen. Wann stehen denn schon mal Lampen einfach so zum Mitnehmen auf der Straße? So hatten 25 Jahre Mauerfall am Ende doch was Gutes.

Berlin Rosenthaler Platz, die U-Bahn fährt ein

Die Platte bricht

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Marzahn rückt immer näher. Jetzt fährt man zur Alten Börse nur noch mit der M8 die Allee der Kosmonauten rauf, bis zur Beilsteiner und dann geht’s zehn Fußminuten zwischen Einfamilienhäusern und zukünftigen Stadtvillen hindurch bis zur Alten Börse Marzahn, die mal Scheune und Pferdeställe hatte, wo jetzt Künstler wohnen, die Ausstellungen organisieren und Bezirkspolitiker ihr Büro mit Garten davor haben, und Bier gebraut und gefeiert wird.

Gestern Abend hat Juliane Witt vor dem Zeitgut zum Sommerabschluss-Lagerfeuer eingeladen. Bezirkspolitiker, Künstler und andere Marzahner Macher waren versammelt. Konditoren aus Alt-Marzahn hatten leckere Törtchen mitgebracht. Die Stimmung war ein bisschen wie ganz früher, als man auf Holzbrettern über den Matsch in der Kulturbrauerei lief.

Die Platte bricht. Damit meine ich nicht die Häuser, sondern das Bild vom Leben in Marzahn, das sich in den Köpfen eingenistet hatte und da schwer wieder raus zu kriegen ist.

In der Alten Börse Marzahn stellten kürzlich bemerkenswerte Künstler aus. Am 17. und 18. Oktober findet dort das überhaupt allererste internationale Percussionsfestival der Welt statt, mit Workshops, einem Musikflohmarkt und jeder Menge Trommelei natürlich.

Am Samstag, 16 Uhr stellen Künstler das U-Bahn-Projekt „Was ist draußen?“ in der station urbaner kulturen am U-Bahnhof Kaulsdorf Nord vor. www.kunst-im-untergrund.de ist ein Projekt der neuen gesellschaft für bildende kunst www.ngbk.de, die in Kreuzberg ansässig ist und jetzt auch am Cecilienplatz in Marzahn!

http://alte-boerse-marzahn.de/

 

Das Orakel

Zum ersten Mal besuche ich den Salon tz-p. Diesmal findet er in der Galerie F92 am Teutoburger Platz statt, wo Dorit Trebeljahr und Anton Schwarzbach, die Gastgeber des Salons und Herausgeber des Magazins „Prolog“ gemeinsam mit anderen Künstlern gerade ausstellen.

Es wird musiziert. Gedichte und Prosatexte werden gelesen und die Lieblingsdrinks der Gäste gemixt. Die Stimmung ist heiter. Reinhold Gottwald von der Galerie Walden verteilt Kärtchen mit Orakelsprüchen. Auf meiner Karte steht: Deine Zukunft ist deine Vergangenheit. Ich erschrecke. Das klingt nach Sterben. Ich will nicht sterben, denke ich.

Das sei nicht so gemeint. Man könne diesen Satz durchaus auch anders lesen, beschwören mich die anderen. Aber ich bleibe beunruhigt.

Später werden Kärtchen mit Fragen verteilt. Meine Frage lautet: Wo ist Schluss? Das hat doch wieder mit dem Tod zu tun! Wo ist Schluss? Im Sarg. Auf dem Friedhof. Der Gastgeber sagt, die Frage richte sich nicht auf einen Ort, sondern darauf, wie weit ich gehen würde. „Zum Beispiel. Du bist bereit, Geld für Kunst auszugeben, aber du würdest niemanden dafür umbringen.“ Ja. Ja. Verstehe. Ich schaue auf den Satz und weiß nicht, wie weit ich gehen würde. Ich denke an Gräber.

Nach dem Salon sagt Anton Schwarzbach, dass ihm leid tut, dass die Karten mich so erschreckt haben. „Es liegt nicht an den Fragen, sondern an mir“, sage ich. „Ich denke einfach zu viel über den Tod nach. Ich muss meine Gedanken besser kontrollieren.“

Als ich nach Hause komme, finde ich in meiner Post eine Todesanzeige. Ein Freund, der Maler Clemens Gröszer, ist vor wenigen Tagen gestorben.

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Clemens Gröszer, Selbstporträt

http://rnd.rewesh.de/schrader/article.php?sub=portrait&article=1

 

Liebe ist das neue Schwarz

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Die Karte entdecke ich bei meinem ersten Besuch in dem süßen Papierwarengeschäft, das neulich hier aufgemacht hat. „Love is the new black“, steht darauf, in einer Schrift, die sympathisch ungelenk wirkt, als hätte jemand mit zittriger Hand die Buchstaben gemalt oder als hätte ein Kind sie aus Papier ausgeschnitten, die Zunge zwischen den Lippen. Liebe ist das neue Schwarz. Ein rätselhaft schöner Spruch. Er assoziiert die Wiederkehr des Hippie-Gefühls. Liebe hat Konjunktur. Das Wort wird gerade mächtig in der Werbung strapaziert. Es klebt an Schaufensterscheiben und steht in rostigen Lettern zum drauf rumklettern vor einem Theater. In REVOLUTION Weiterlesen

Rosa, draußen vor dem Café

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Illustration © Cristóbal Schmal

Er stößt sich mit seinen zerrissenen Chucks von der Wand ab und trudelt am Seil einmal um die eigene Achse, dass die Ringel seiner bunten Wollmütze wie ein verrückt gewordener Lolli kreiseln. Jetzt schwingt er rüber zum nächsten Fenster.

Die beiden anderen über ihm sitzen in festen Gurten und putzen, was das Zeug hält. Interessiert die wohl gar nicht. Der mit der Lollimütze klatscht Seifenbrühe an die Scheibe und streift sie in fast waagerechter Lage ab. Grünes, geripptes Unterhemd und Jeans. Die Muskeln glänzen. Verflixt schwierig, ihn zu skizzieren, so schnell ist er. Jetzt richtet er sich im rechten Winkel zur Wand auf, hält einen Finger an die Mütze und grinst. Breite Wangenknochen und schwarze Augen. Ich bin die einzige, die ihm zuschaut. Niemand sonst bleibt stehen. Kommen eh nicht viele Leute vorbei und wenn, dann gucken sie, als seien sie hier falsch. Die Gegend wirkt wie ein Niemandsland. Alles ist neu: Das Hotel, das Café, die Gehwegplatten, die kleinen Bäume in ihren frischen Gittern. Ringsum Baustellen, hinter Bretterzäunen, drauf die Namen: Bikini und Upper West. Läden und Büros. Der Ort fühlt sich nackt an.

Melanie hat gesagt, dass ich mich ins Cafe setzen und was essen soll. Ich bleibe aber lieber draußen. Ich bin eher der Typ, der draußen bleibt und guckt, was abgeht. So war ich schon immer. Ich habe auch schon immer   Weiterlesen