Ein Abend im Europäischen Zentrum der Künste Dresden
Festspielhaus Hellerau in Dresden
http://www.hellerau.org
Derzeit läuft in Hellerau das Festival Brasilianische Alternativen. Heute erlebte ich dort eine Choreografie von Lia Rodrigues, eine der bedeutendsten brasilianischen Choreografinnen.
Die zehn Tänzer, Männer und Frauen, setzten sich nackt und ohne die schützende Grenze eines Bühnenraumes den Besuchern aus. Sie bahnten sich Wege durch uns, das Publikum, bekleidete und parfümierte Großstädter. Sie suchten unsere Blicke, streiften unsere Haut, hinterließen Spuren darauf aus Kaffee und Gewürzen, braun und rot. Sie robbten, krochen, flatterten zwischen uns hindurch, ihre Wege bahnend. Später sahen wir ihrem Ritual zu. Sie tanzten wie in Trance, verrückt und glücklich. Den Rhythmus erzeugten sie kraftvoll mit den Füßen. Das war die einzige Musik, die an diesem Abend zu hören war.
„Wir tanzen für die, die nicht tanzen können“, sagt Lia Rodrigues über ihre Choreografie. Wer ist das? Die Trauernden, denen die Glieder schwer geworden sind? Andere, deren Willen ihre Glieder nicht folgen können? Sind es die Gefangenen, denen mit Erschießung gedroht wird, falls sie zu tanzen wagen? Falls sie aufstehen? Denn so beginnt doch jeder Tanz. Auf den eigenen Füßen.
Am Ende der Performance lasen die Künstler ein Statement zur aktuellen Situation in Brasilien. Sie protestierten gegen den Putsch gegen Dilma Rousseff. Es sei ein Schlag gegen die mühsam errungene Demokratie in Brasilien. Nach dem Putsch seien verschiedene Ministerien geschlossen worden, u.a. das Ministerium für die Gleichstellung der Frau, das Ministerium für die Angelegenheiten indigener Völker und das Energie-Ministerium. Für diese also haben sie getanzt: Für die Frauen, für die Indigenen, für die Lebendigkeit, die von den Despoten gefürchtet wird.
Das „Projeto Brasil“ kommt auch nach Berlin, ins HAU, vom 7.-19. Juni. Geht unbedingt hin! Das Hau hat bereits eine kleine Zeitschrift zum „Projeto Brasil“ gedruckt mit interessanten Aufsätzen zur Situation in Brasilien. Der Titel der Tanzperformance „For the sky not to fall“ wurde umgewandelt in „the sky is already falling“.
Es gibt Hoffnung. Eine ist das Festspielhaus Hellerau und sein Intendant Dieter Jaenicke. Er lebte selbst einige Jahre in Brasilien und übersetzte auf dem kleinen anschließenden Empfang alle Reden. Im Publikum waren die Intendanten der anderen Bühnen, zu denen das „Projeto Brasil“ ebenfalls reisen wird, unter ihnen Amelie Deuflhard, die viele Jahre die Sophiensäle geführt hat und jetzt das Hamburger Theater Kampnagel leitet. Es gab brasilianisches Gebäck, gesponsert vom Kulturministerium der Stadt. Ein Feueralarm beendete die Feier abrupt. Es hieß, in der Küche sei ein Brand ausgebrochen. Vielleicht hat der Koch auch nur eine Zigarette geraucht. Wir mussten das Haus verlassen.




