Großmutters Haar (für Omi Antje)

Am 9. September wäre meine Lieblingsomi 95 Jahre alt geworden. Sie starb in einer Winternacht vor zwei Jahren. Sie fehlt mir noch immer. Sie war eine weise Frau, eine schöne Frau. Sie liebte meine Texte im Magazin der Berliner Zeitung und war enttäuscht, wenn wieder ein Wochenende ohne einen meiner Artikel begann. Sie hat sich mit meinen Gedanken, Ideen und Zielen auseinander gesetzt wie keine zweite Freundin. Sie war meine beste Freundin.

Sie empfahl mir, große Ketten zu tragen, so wie sie immer große Ketten über ihren schlichten Wollpullovern getragen hatte. Doch ihr Rat meinte mehr: Er meinte, dass ich stärker, raumnehmender, auffallender agieren sollte. Ein Jahr nach ihrem Tod habe ich mir eine lange, große Kette aus gelben Holzperlen gekauft.

Eigentlich war sie gar nicht meine Großmutter, sondern die Großmutter von Stefan Schrader, mit dem ich eine Zeitlang verheiratet war. Und sie war die Urgroßmutter unserer gemeinsamen Tochter Selma. Die Verbindung zu ihr ist nie abgerissen. Sie wurde mit den Jahren immer stärker.

Für sie habe ich diese Geschichte geschrieben.

Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht (2009)

Großmutters Haar

In dieser Nacht schien der Mond so hell, dass die Schornsteine Schatten aufs Dach warfen. Ich wollte die Spätsommernacht über der Stadt genießen, von oben aus einer anderen Perspektive auf mein Leben blicken, nichts bewerten, sondern spüren, was war und ist, und vor allem: Vincent nicht anrufen. Die Dachpappe stachelte meine nackten Beine.

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Herr von Gigantikow

Reinhard Zabka ist mit seinem Lügenmuseum nach Radebeul gezogen. Dort registriert er mehr Neugier, aber er polarisiert auch in Sachsen

Reinhard

Foto: © Amac Garbe/ Dresden/ www.ein-satz-zentrale.de

Lügenmuseum heißt der Ort, ein staubtrockener Name, der nur als Tarnung gedeutet werden kann für die Poesie dieses funkelnden, blinkenden, surrenden, singenden und klingenden Universums. Es ist, als gerate man in die eigenen Träume, als stürze man aus den Mechanismen der Zeit in ein Wunderland. Aus einem alten Koffer bläst Wind, bringt ein nacktes Lampengestell zum Erzittern, worauf ein kaltes Funkeln durch die Einweckgläser und Spiegelscherben huscht.

Das Schiff

Foto: © Amac Garbe/ Dresden/ www.ein-satz-zentrale.de

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Es ist Grün!

Die Modefarbe der Saison gibt sich revolutionär – Erkundungen zwischen Kleiderbügeln, Schultafel und Mikroalgenfarm

Eine Caprice für Das Magazin im April 2013

Entlang der Silberbügel hangele ich mich durch Blusen, Kleidchen, Shirts und Pullover in den Farben Malachit, Fluorid, Mint, Farn, Moos, Light Apple, Emerald, Aqua Splash und Foliage. Man kann es auch kürzer sagen: Grün. Die fantasievollen Namen können nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich in jedem Fall um geringe Abweichungen der Farbe handelt, die mit 500 Nanometer im Lichtspektrum auf der Mitte zwischen Rot und Blau liegt. Das Neutrum. Das Grün in der Frühjahrskollektion 2013 ist ein Phänomen. Die Verkäuferin zieht eine neongrüne Bluse aus der Reihe, reibt den Baumwollstoff zwischen ihren Fingern. Das habe es in der Streetwear noch nie vorher gegeben. So ein Grün! Sie erzählt, mit welcher Begeisterung sie und ihre Kollegen im letzten Sommer die Kollektion 2013 eingekauft hätten, wie sie in all dem Grün gebadet haben. Und jetzt ist es da. Malachit oder Farn? Oder greife ich doch lieber wieder zu Rot?

Grün harmonisiert und beruhigt. Grünes Licht stärkt das Herz und entspannt die Augen. Schultafeln sind dunkelgrün, weil das die Konzentration fördert. In Wohnräumen sorgt die Farbe Grün für Behaglichkeit. Grünes Gemüse ist basisch und gesund. Der Prophet Mohammed liebte Grün. Er fand, dass das Betrachten von Grün Gottesdienst sei. Napoleon liebte Grün. In der Verbannung auf Elba ließ er sein Haus grün tapezieren. Die Tapete verströmte Arsen…

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Auf der Spur der Steine

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Foto: ⓒ Daniel Wolter

Granit – Fundort: Marzahner Promenade 44-45 (2012) vermutlich: Aland-Granit (Rapakiwi), entstanden vor ca. 1,5 Milliarden Jahren im Gebiet des heutigen Åland (Finnland)

Aus dem „Feldbuch Marzahner Promenaden Geologie“

Im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf soll ein neues Quartier für Kunst entstehen. Das Wohnungsunternehmen DEGEWO vermietet seit zwei Jahren leerstehende Läden zum Betriebskostenpreis an Nachwuchskünstler aus der Innenstadt. Sie sollen Publikum und Geschäftsleute anziehen, die große Plattensiedlung im Osten endlich aufwerten.

Der 28jährige Daniel Wolter denkt allerdings weiter in die Zukunft als den Immobilienmanagern lieb ist: „Wenn die Häuser hier wieder zu Staub zerfallen sind, und Wissenschaftler in Tausenden von Jahren den Grundriss von Marzahn freilegen, dann wird man die besondere geometrische Struktur der Stadt, die geraden Straßen und rechtwinkligen Wohnviertel, nur politisch erklären können. Das meine ich, wenn ich von der Verschränkung der Geologie mit der Politik spreche.“ Daniel Wolter beschäftigt sich mit … Weiterlesen

Was israelische, palästinensische und deutsche Jugendliche verbindet


Zwei preisgekrönte Jugendprojekte der Europeans for Peace beschäftigen sich mit Vertreibung, Flucht und dem Menschenrecht auf Asyl

Foto: ⓒ Andrea Vollmer

Es ist auch heute noch möglich, 15 – bis 16jährige Jugendliche mit dem Erinnern an den Holocaust zu berühren. Der Brückenschlag von der Vergangenheit in die Gegenwart gelingt, wenn die alten Fragen vor einem neuen Hintergrund gestellt werden.

Das sind die besten der vielen guten Nachrichten von der diesjährigen Preisverleihung des Jugendprogramms Europeans for Peace der Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft (EVZ).

Fünf der dreiunddreißig geförderten Projekte zum Thema „Menschenrechte in Vergangenheit und Gegenwart“ im Schuljahr 2011/12 erhielten am 7. Januar 2013 in Berlin einen Award der Stiftung EVZ, darunter zwei deutsch-israelische Jugend-Projekte. Das Besondere am „Borderline-Remix“, der Hip-Hop-Oper für Grenzgänger und blinde Passagiere“ und dem Tanzstück „Exodus Reloaded“ ist, dass beide Projekte die Erfahrungen und Lehren aus dem Holocaust und der

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