Hüterinnen des Feuers

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mona lisa 2016

Ich bin auf einer Hochzeitsfeier. Es ist ein warmer Abend. Auf der Spree ziehen Boote und Schiffe vorüber. Die Terrasse des Restaurants liegt auf Höhe des Flussspiegels. Es ist, als wären wir selbst auf einem Schiff.

Ich fühle mich ein bisschen verloren. Das Brautpaar ist beschäftigt und die meisten Gäste kenne ich nur flüchtig.

Wenn ich früher in eine Gesellschaft kam, in der ich niemanden kannte, ließ ich mich mit den Erstbesten in ein Gespräch ein und plapperte gegen die Langeweile nichtiger Themen an, bis ich völlig erschöpft war.

Heute gehe ich anders vor. Ich ziehe mich zurück und beobachte die Gesellschaft. Wenn mir jemand gefällt oder etwas hat, das mich neugierig macht, pirsche ich mich an. Weiterlesen

25 Jahre Mauerfall oder: Stehlampen für alle!

Berlin Rosenthaler Platz

Das hat die Berliner mal wieder überrascht: Dass jemand in die Stadt kommt und wissen will, wo die Mauer gestanden hat! Und dass jemand und jedermann sogar freiwillig entlang der Lichtgrenze mehrere Kilometer läuft! Damit hatte man wirklich nicht gerechnet. Die Jogger waren empört, dass Fremde auf ihre Parkwege drängen. Allgemeines Unverständnis, als ein Radfahrer in der Schönhauser Allee nach der East Side Gallery fragte. Und erst die Familie aus Südbrandenburg, die in der S-Bahn bei jeder Station rätselte, ob das nun Osten oder Westen ist!

Was für ein seltsames Jubiläum das war! Eine ernste, brave Masse schob sich auf dem von Townhouses und BND-Festung um etliche Meter versetzten Mauerweg, stand ehrfürchtig vor Schaukästen und Videowänden, auf denen schwülstige Dokus liefen. Kein Straßenmusikant, keine Stelzenläufer, Seiltänzer, Performer und Zauberkünstler, wie sie sonst am Rand großer Feste und Paraden das eigentliche Berlin vertreten? Kein Aktivist mit einem Aufruf zur Revolution.

Nach dem schnellen, blassen Verschwinden der Ballons im Nachthimmel hatten die Berliner nur noch eins im Sinn: Das Wasser aus den Lampenfüßen auf den Fußweg oder die Brücke kippen und die Gestelle flink Huckepack nach Hause tragen. Wann stehen denn schon mal Lampen einfach so zum Mitnehmen auf der Straße? So hatten 25 Jahre Mauerfall am Ende doch was Gutes.

Berlin Rosenthaler Platz, die U-Bahn fährt ein

Die Balance des Glücks

Thalheim by Ali Ghandtschi

Der Berliner Filmemacher Robert Thalheim

Foto: © Ali Ghandtschi

Seit dem 14. November läuft „Eltern“ im Kino. Eine Begegnung mit dem Regisseur.

Robert ist Künstler, Konrad auch. Robert hat zwei Kinder. Konrad auch. Robert und Konrad möchten viel Zeit mit ihren Kindern verbringen. „Nicht nur so ein arbeitender Satellit da draußen sein“, sagt Robert.

Wie macht Mann das heute? Robert Thalheim erzählt in seinem neuesten Film „Eltern“ von Konrad, der nach einigen Jahren als Hausmann wieder ins Berufsleben einsteigen möchte, und davon, was für Turbulenzen das in seiner Familie auslöst. Konrad ist Robert Thalheims Alter Ego. Der Filmemacher und sein Held sehen sich sogar ein bisschen ähnlich. Beide wirken gemütlich und stabil. Aber sie fühlen sich nicht immer so. Auch Robert Thalheim war ein halbes Jahr in Elternzeit, nach der Geburt seines ersten Kindes. Beim zweiten Kind entschied er, das nächste Drehbuch zu schreiben, statt wieder in Elternzeit zu gehen. An dieser Stelle laufen die Lebenslinien von Konrad und Robert auseinander. Aber der Anspruch, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, verbindet sie.

Dass es Thalheim zurück in den Job trieb, hing mit seinen Weiterlesen

Auf den Pflastersteinen von Mitte

Ein Besuch in der französischen Buchhandlung Zadig, die im September 2013 zehn Jahre alt geworden ist. Zadig ist die einzige französische Buchhandlung in Berlin.

Berliner Zeitung

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Patrick Suel vor seiner Buchhandlung in der Linienstraße in Berlin-Mitte

Der Berliner Comiczeichner Mawil hat eine Illustration für das Jubiläumsbuch gezeichnet. Er ist ein Freund der Buchhandlung Zadig, obwohl er nicht Französisch spricht. Aber er wohnt nun einmal im Kiez, und wenn er im Schaufenster die neuesten französischen Comics sieht, dann geht er rein und blättert ein bisschen darin. Mawil zeichnete das alte Haus Linienstraße 141, erdrückt von reklamebehängten Hochhäusern, zwischen denen selbst der Fernsehturm fast verschwindet. Unter der Lupe zeigt er, in lässiger Haltung, den Inhaber Patrick Suel auf dem Schaufenstersims. Er winkt einer Frau zu, die mit einem Baguette unter dem Arm vorbeiradelt. Suel, angelehnt an die Asterix – und – Obelix – Comics,  als letzter Widerständler gegen die Gentrifizierung von Mitte, im Jahr 2013 nach Christi.

Patrick Suel war Mitte der Neunzigerjahre nach seinem Philosophiestudium nach Berlin gekommen und hatte den leerstehenden Laden 2003 über eine Annonce in der Berliner Zeitung gefunden. Er hatte für sein Buchsortiment weiße Ikearegale gekauft, eine Ladenkasse und Bistrobänke für die geplanten Lesungen.

Seither hat sich das Mobiliar in der Buchhandlung wenig verändert. Suel hingegen hat einige Haare und ein paar Kilo verloren, aber alle Mühen haben sich gelohnt. Die Buchhandlung Zadig ist ein Treffpunkt des frankophonen und frankophilen Berlins geworden. Zadig ist neben der Buchabteilung des Lafayette die einzige französische Buchhandlung der Stadt. Suel bietet neben dem klassischen Belletristik-Sortiment Comics, Kunstbände, viele Kinderbücher, eine kleine Auswahl französischer Kochbücher und neue Werke und Romane, die in Deutschland spielen oder sich mit Deutschland und dem deutsch-französischen Verhältnis beschäftigen und an prominenter Stelle ein Regal mit politischen Schriften. Bei Zadig finden junge Autoren wie Wilfried N’Sondé, dessen Romane von der Identitätssuche junger, afrikanischer Migranten erzählen ebenso eine Bühne wie die arrivierten Herren der Berliner Sartre-Gesellschaft. Diese vielfältigen Veranstaltungen moderiert Suel, verwegen elegant gekleidet, freimütig, temperamentvoll und ganz und gar unelitär.

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Auf der Spur der Steine

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Foto: ⓒ Daniel Wolter

Granit – Fundort: Marzahner Promenade 44-45 (2012) vermutlich: Aland-Granit (Rapakiwi), entstanden vor ca. 1,5 Milliarden Jahren im Gebiet des heutigen Åland (Finnland)

Aus dem „Feldbuch Marzahner Promenaden Geologie“

Im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf soll ein neues Quartier für Kunst entstehen. Das Wohnungsunternehmen DEGEWO vermietet seit zwei Jahren leerstehende Läden zum Betriebskostenpreis an Nachwuchskünstler aus der Innenstadt. Sie sollen Publikum und Geschäftsleute anziehen, die große Plattensiedlung im Osten endlich aufwerten.

Der 28jährige Daniel Wolter denkt allerdings weiter in die Zukunft als den Immobilienmanagern lieb ist: „Wenn die Häuser hier wieder zu Staub zerfallen sind, und Wissenschaftler in Tausenden von Jahren den Grundriss von Marzahn freilegen, dann wird man die besondere geometrische Struktur der Stadt, die geraden Straßen und rechtwinkligen Wohnviertel, nur politisch erklären können. Das meine ich, wenn ich von der Verschränkung der Geologie mit der Politik spreche.“ Daniel Wolter beschäftigt sich mit … Weiterlesen