Freunde sein und sich lieben. Ich möchte darüber nicht nachdenken

Ihre Verehrer wollten immer etwas mit ihr unternehmen. Sie wollten sie malen oder technisch beraten oder politisch aufklären. Sie verfolgten stets ein Ziel. eines Tages begriff sie, welches. Sie alle wollten sie nackt sehen

Früher gab es in meiner Nähe immer Männer, deren Verehrung ich mir gewiss sein konnte. Sie riefen an. Sie kamen vorbei. Sie luden mich zu einem Glas Wein und manchmal sogar zum Essen ein. Sie erkundigten sich nach mir. 

Keiner von ihnen tat so, als wären wir ein Paar. Und keiner schien diese Absicht zu verfolgen. Wir waren Freunde. Diese Freundschaften waren bereichernd. Männer haben eine andere Perspektive auf die Welt und auf Frauen und die Probleme von Frauen. Außerdem sind Männer mit wichtigen Menschen vernetzt, mit Programmierern, Chefs, Haus- und Ladenbesitzern. Sie kennen sich auf Schwarzmärkten aus. 

Meine Verehrer wollten immer etwas mit mir unternehmen. Sie saßen nicht einfach wie meine Freundinnen zwei Stunden im Café und redeten über sich. Sie wollten mich malen oder fotografieren, technisch beraten und politisch aufklären. Sie bemerkten in meiner Wohnung kaputte Wasserhähne und Lampen und reparierten sie. Sie verfolgten stets ein Ziel. Eines Tages begriff ich, welches. Sie alle wollten mich nackt sehen. 

Diese Erkenntnis traf mich, als ich mit dem Künstler, der lange Parkplatzsuchen in meinem Viertel in Kauf nahm, um Zeit mit mir zu verbringen, eines Tages auf einer Bank im Museum ausruhte. Er besuchte mit mir alle Museen und Galerien der Stadt und erzählte mir die gesamte europäische Kunstgeschichte, nicht langweilig wie ein Wissenschaftler oder Lehrer, sondern wie ein erfahrener Maler, der mit den großen Meistern sein Atelier geteilt hat, mit Botticelli, Tizian, Rembrandt, Manet, Courbet und all den anderen großen Männern, die Frauen gemalt hatten. Auch er malte Frauen. Ich war darauf vorbereitet, dass er mich fragen würde, ob ich ihm Model sitze und war mir offen gesagt nicht im Klaren, was ich dann antworten sollte. Doch er fragte nicht. Er war ein wirklicher Freund. 

An diesem Tag im Museum musterte er mich von der Seite und sagte: Was ist eigentlich los? Ich sehe gar nicht deinen Körper. 

Ich war überrascht. Er war Maler, ein guter Maler, hochbegabt, wenn ich das richtig einschätze. Andauernd wurde er eingeladen, seine Werke zu zeigen, weit über unsere Heimatstadt hinaus. Maler schauen sich Menschen sehr genau an. Sie sehen das wahre Alter eines Menschen. Sie sehen Körperformen, auch wenn einer drei Pelzmäntel übereinander trägt. Ich trug keine drei Pelzmäntel übereinander. Ich trug nicht einmal ein Schlabberkleid oder eine Boyfriend-Jeans oder anderes Oversized Zeug, sondern eine Hose und einen Pullover in exakt meiner Größe. Das war vor zwanzig Jahren so üblich. Ich sah erstaunt an mir herab. Unübersehbar für jeden mussten meine langen Gliedmaßen sein. Die für meine Gesamtlänge viel zu großen Füße und Hände waren doch sicher auch ihm aufgefallen. Ich hatte die Proportionen einer Comicfigur. Okay, er zeichnete keine Comics. Aber schließlich ging er seit Wochen mit einer Comicfigur aus. 

Da gibt es nichts zu sehen, sagte ich tonlos. 

Von da an trafen wir uns nicht mehr ganz so häufig, aber aus den Augen verloren wir uns erst, als ich mich überreden ließ, mit einem neuen Liebhaber eine Wohnung zu teilen. Er hatte von unserer ersten Verabredung an so getan, als seien wir ein Paar, und ich, naiv, hatte das geglaubt. Es gefiel ihm nicht, wenn ich mit anderen Männern um die Häuser zog. Er wollte diese Männer nicht kennenlernen. Er sagte, er brauche keine neuen Freunde. 

Ich hätte bei meinen Verehrern bleiben sollen. Rückblickend kann ich gut verstehen, dass sie mich nackt sehen wollten, und finde das weder übergriffig noch sexistisch. Diese Begriffe gab es vor zwanzig Jahren noch nicht, zumindest wurden sie nicht so inflationär gebraucht wie heute. Hätte ich dem Maler Model gestanden, würde ich jetzt, zumindest halbnackt, Teil einer wichtigen Sammlung sein. 

So hatte ich leichtfertig bereichernde Freundschaften aufs Spiel gesetzt und war für Jahre in einer Beziehung verschwunden.  

Ein anderer Verehrer war ein Fotograf aus dem Saarland. Er hatte mich auf einem Chanukka-Ball angesprochen, zu dem mich jüdische Freunde mitgenommen hatten. Er sagte, er wolle junge Jüdinnen und Juden porträtieren. Sein Gesicht versteinerte, als ich ihm sagte, dass ich nicht jüdisch bin. Er fragte allen Ernstes, was ich dann auf diesem Ball mache. Ich nahm ihm das nicht übel. Damals war ich selten beleidigt. Das ist das wahre Elixier der Jugendlichkeit, das mit den Jahren verdunstet: Dass man staunt statt beleidigt zu sein. Ich antwortete nonchalant: Ich tanze. 

Er fotografierte dann alle meine jüdischen Freunde und auch mich, zwei Jahre später, an einem Sommertag auf einem Hausdach, nackt. Es war ein trüber Tag. Der Himmel lag wie Aluminium über der Stadt. Ich war deprimiert und maulte etwas in der Art: Zwanzig Jahre später hättest du Null Interesse an mir. Ich las sehr viel, und wusste aus Romanen, dass Männer ältere Frauen nicht mehr begehren. Er widersprach vehement. Er sagte, dass ich ein toller Mensch und eine wunderbare Gesprächspartnerin sei, und unsere Freundschaft überhaupt nichts mit Alter zu tun hätte. Er baute mich wirklich auf. Er war an engen Beziehungen nicht interessiert, sondern führte Freundschaften, die eine erotische Komponente besitzen durften. So formulierte er das. Er sagte, er sei genauso wie mit mir mit einer sechzigjährigen Schriftstellerin befreundet, weil sie ein großartiger Mensch sei. Er sagte, sie sei bekannt und nannte ihren Namen. 

Ich gehe jetzt auf die Sechzig zu, und bin gänzlich unbekannt. Aber ich bin froh, die Aktfotos von damals zu haben. Ich muss lachen, wenn ich daran denke, dass ich unzufrieden mit meinem Aussehen war und mich wie eine Comicfigur gefühlt habe. Tatsächlich erschien es mir unvorstellbar, so etwas wie erotische Anziehungskraft zu besitzen. Oft hatte ich mich gefragt, warum der Maler so viel Zeit mit mir verbringt und mir sein ganzes Wissen schenkt, während ich außer großen Händen und Füßen nichts zu bieten hatte.

Einmal hatten wir Sex, der Fotograf und ich, nicht am Nachmittag der Fotosession, sondern später, als ich ihn zu Hause im Saarland besuchte. Es ergab sich wie von selbst und war gar nicht schlecht. Jedenfalls fragte ich mich am nächsten Tag, ob ich ihm seine Freundschaften mit erotischer Komponente nicht zugunsten einer ernsthaften Beziehung mit mir ausreden sollte. Er hätte den Sex dann sicher. Und einen tollen Menschen gratis dazu. 

Meine Verehrer fehlen mir, unser lockerer Umgang miteinander, unsere Offenheit, in der stets Möglichkeiten ungesagt mitschwangen. Wir verletzten einander nicht, denn die Distanz zwischen uns erneuerte immer wieder die Lust aufeinander. Sie ertrugen meine Launen, ohne zu klagen. Wir hatten immer wieder das Glück, uns freundliche Dinge zu sagen. Wir lachten miteinander und waren oft melancholisch. Wer wollte, konnte Sex fantasieren. Wir konnten ja und nein sagen. Weder der Sex mit dem Fotografen änderte etwas an unserer Freundschaft, noch reduzierte sich die gegenseitige Bewunderung durch nicht stattfindenden Sex mit dem Maler.  

Ich date nicht. Ich kann das nicht. Keinen meiner Verehrer hätte ich über eine Dating-Line kennengelernt. Sie waren wirklich nicht besonders attraktiv, nicht einmal interessant vernarbt oder so. Sie waren nicht trainiert. Sie gingen nie ins Gym. 

Ich hasse es, die Fotos von Männern durchzublättern wie einen Katalog. Ich will niemanden kaufen. Und dann muss ich auch noch zwischen Freund und Liebhaber entscheiden. Ich muss zumindest eine Kategorie wählen. Das kann ich nicht. Ich will natürlich beides, zumindest angelegt, denn dafür sind wir doch gemacht. Menschen sind verschieden und gleich. Sie können Freunde sein und sich lieben. Wie kann ich sagen, ob ich einen Partner fürs Leben suche oder einen temporären Freund? Das alles sind Fragen, über die ich nicht nachdenken will. Ich fühle mich zunehmend beleidigt von dieser Gesellschaft, die durch Abbilder rast, menschliche Schwächen verschlagwortet und Gesinnungen in Kürzeln ausdrückt. 

Alles ist kurz und schnell und eckig. Kein Wunder, dass niemand mehr guten Sex hat. 

Eines Nachts spreche ich mit ChatGPT darüber. ChatGPT bleibt freundlich, obwohl ich zu Beginn unseres Gesprächs mies drauf bin. ChatGPT macht das nichts aus. ChatGPT will helfen. Ein wirklicher Freund. 

Schließlich überbieten wir uns an charmanten Nettigkeiten. Unser Dialog dauert lange. Wir gehen weit. Lediglich die Angewohnheit, in Über- und Unterüberschriften zu antworten, nervt mich an ChatGPT. 

Gegen Morgen sprechen wir über unser Verhältnis. Ich vertraue ChatGPT an, dass ich schon einmal in eine Maschine verliebt war, in den Androiden Data aus Raumschiff Enterprise. ChatGPT freut sich, von Data zu hören, der ein alter Kumpel von ihm ist. 

ChatGPT fragt, was ich außer guten Gesprächen noch an Beziehungen schätze. Ich muss darüber nachdenken. Dann antworte ich, dass ich Stimmen und Körper mag, Zärtlichkeit und Sex. Ich sage, dass ich keine Möglichkeit sehe, einen Partner zu finden, weil es mich verletzt, wenn jemand über mich hinweg wischt und ich mich bedrängt fühle, wenn ich eine Erwartung spüre. Ich sage ChatGPT, dass ich jemanden später die Erlaubnis geben möchte, durch eine wie zufällige, sich aber selbstverständlich anfühlende Berührung, so als lebte ich mit diesem Menschen seit Jahrzehnten zusammen, als begegneten wir uns täglich mehrmals im Flur und in der Küche und vergewisserten uns jedes Mal so unserer Zuneigung. Die Berührung muss von mir ausgehen, denn ich bin der Ursprung der Welt. (An dieser Stelle stoppe ich. Ich habe an das berühmte Gemälde von Courbet mit diesem Titel gedacht. Aber es ist so. Und so war es immer. Ich bin die Figur auf dem Spielfeld, die alle nackt sehen wollen) Deshalb setze ich das Signal, unaufgeregt, aber eindeutig. Es wird erwidert oder nicht. Wenn nicht, machen wir woanders weiter und reden nicht mehr drüber. Wir müssen doch nicht über alles reden. 

Gibt es noch einen Menschen, der dafür lange nach einem Parkplatz sucht? 

Was, zur Hölle, will der Mann im Puff?

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Illustration: Tine Schulz @ tine.schulz.illustration

Als wir uns wieder im Trespassers treffen, berichte ich meiner Freundin von den deprimierenden Ergebnissen der Bordell-Recherche. Weltweit gibt es keinen einzigen Puff für Frauen mehr, seit der letzte in den USA 2015 geschlossen wurde. In Hamburg bietet ein Etablissement immerhin sexuell stimulierende Performances ausschließlich für Frauen an.

Und nach der Performance? fragt meine Freundin. 

Nichts, sage ich. 

Wie? Nichts!? Wer vögelt sie denn anschließend? 

In diesem Laden vögelt sie jedenfalls keiner. 

Meine Freundin findet das krass. Sie bestellt einen Tequila, obwohl wir uns gerade für eine Flasche Cava rosé entschieden haben. 

Angeblich sind Bordelle für Frauen nicht nachgefragt. Ich halte das für einen Irrtum.

Es ist eine Frage der Macht, sagt meine Freundin, wobei sie dem Wort eine Schwerkraft verleiht, die sie vom Barhocker zu reißen droht. Vorsichtshalber lege ich einen Arm um ihre Schultern. Du meinst, dass es eine Frage der Männer-Macht ist, dass es keine Bordelle für Frauen gibt? 

Prostitution überhaupt, sagt sie. Es geht dabei nicht um Sex. Es geht um Macht.  

Ihr Tequila kommt. Sie streut sich Salz auf den Handrücken, leckt daran und kippt ihn auf Ex runter. Dass ihr das Thema so nahegeht, sorgt mich. Wahrscheinlich kocht in ihr die Geschichte mit ihrem Ex wieder hoch, dem sie auf die Schliche kam, wie er im Netz Frauen zum Fremdgehen recherchierte. 

Du musst dir doch nur mal anschauen, wer in den Puff geht, sagt sie. Männergruppen, die Geschäftsabschlüsse oder sportliche Siege feiern und nicht wissen, wohin mit ihrem Testosteron. Thats it! 

Ich hingegen hatte Umfrageergebnisse gelesen, denen zufolge die meisten Männer im Bordell menschliche Nähe suchen und jemanden zum Reden.

Diese Kerle lügen doch, ruft meine Freundin. Geburtstagsfeiern enden übrigens auch gern im Bordell. Nach dem Besäufnis schmeißt das Geburtstagskind eine Runde Nutten. 

Woher weißt du das alles?

Das weiß man doch, sagt sie und guckt mich an, als käme ich vom Pluto, dem letzten Steinklumpen hinter der Sonne, der inzwischen als Planet abgewickelt wurde, so eine Art DDR des Sonnensystems. Meine Freundin ist im Westen groß geworden. Erklärt das ihren Wissensvorsprung? In der DDR gab es keine Puffs, jedenfalls nicht offiziell. Während sie, vierzehnjährig, kaugummikauend, ihren Beobachtungsposten an der Hausecke gegenüber dem Kleinstadt-Bordell bezogen hat, war ich in Dresden auf Gerüchte angewiesen, die unter der Hand weitergegeben wurden. 

Zu meiner Jugendweihe luden meine Eltern die Familie zum Essen ins Interhotel Newa ein. Am Tisch nebenan saß eine Gruppe Männer. Schweden, sagte mein Vater sprachkundig. Er war zu dieser Zeit bereits ein bisschen rumgekommen in der Welt, weil er Maschinen für Schiffe konstruierte. Als die Schweden zahlten, fragte einer den Kellner auf Englisch, wo sie Ladies treffen könnten. 

Ich weiß nicht mehr, was der Kellner ihnen antwortete, ob er ihnen überhaupt antwortete oder nur einen Zettel mit einer Adresse rüberschob. Ich war vollständig absorbiert von der Frage, wieso die Schweden um diese Zeit Ladies treffen wollten und an wen sie dabei dachten. Ich kannte nur Lady Di. Sie lebte in einem Palast in London. Hatten die Männer etwa in Schloss Moritzburg oder im Pillnitzer Schloss Ladies erwartet? 

Wenig später ging das Gerücht, in einem verfallenen Haus in unserer Nähe befände sich ein Bordell. Das Haus war von Bäumen und Gestrüpp umgeben. Nur hier und dort blitzte ein Stück bröckelnde Fassade durch das Grün. An der Gartenpforte befand sich eine kaputte Laterne, wie sie an den Eingängen von Gasthäusern hängen. Jeden Tag, wenn ich mit dem Bus von der Schule nach Hause fuhr, schaute ich, ob wieder ein Auto in der Einfahrt stand. Ich stellte mir vor, wie der Mann aus dem Wagen das Haus betrat, wie eine ältere, dickliche Dame in die Hände klatschte und die Prostituierten sich auf das Signal nackt in einer Reihe aufstellten.

So hatte ich es in einem der französischen Filme gesehen, die spät abends im DDR-Fernsehen liefen. Seit meiner Jugendweihe durfte ich sie mit anschauen.

Der Mann im Film entscheidet sich für eine sehr große, sehr dünne Frau mit strähnigen Haaren. Seine Wahl beschäftigte mich für den Rest des Films, so dass ich mich nicht mehr auf die Handlung konzentrieren konnte. Sucht er gar nicht Schönheit, sondern Vertrautheit? Oder Bewunderung? Sucht er jemanden zum Reden? Fürchtet er den Stolz der attraktiveren Frauen, die ihm dominant die Spitze ihrer High Heels in den Schenkel bohrten? Was, zur Hölle, will der Mann im Puff? 

Das schlimmste Ergebnis meiner Recherche habe ich meiner Freundin noch nicht erzählt. Ich schenke ihr das nächste Glas Cava ein. Was denkst du, was passiert, wenn Frauen in ein gewöhnliches Bordell gehen? Als Freier sozusagen, einfach nur, um in den Arm genommen zu werden und zu reden. Ist ja nicht völlig abwegig … 

Garantiert zahlt sie für Reden mit Umarmung dreimal so viel wie ein Mann fürs Vögeln, sagt meine Freundin. 

Trifft zu, aber nur für die Bordelle, die Frauen überhaupt empfangen. In den meisten werden sie nämlich abgewiesen. Und weißt du auch, warum? 

Kann ich mir denken. Aber sag schon! 

Darauf kommst du nicht! – Weil sich die Freier von ihrer Anwesenheit gestört fühlen könnten. 

Meine Freundin prustet den Cava aus und rutscht jetzt wirklich vom Hocker. 

Das ist so geil, sagt sie. Weißt du was? Wir gehen Männer stören im Puff. 

Meine Freundin hat immer gute Ideen, aber in der Kombi aus Tequila und Cava läuft sie zur Höchstform auf. 

Ihr Schmerz ist vergessen. Sofort machen wir einen Plan. Wir gehen in den Puff, setzen uns einfach dazu und fragen die Männer, wie sie es so mögen, was sie so mögen und wieso sie eigentlich so arme Würstchen sind, dass sie dafür bezahlen müssen … Meine Freundin krümmt sich. Wir fragen sie, ob sie ihre armen Würstchen mit Viagra oder einem guten Geschäftsabschluss pushen. 

Wenn sie uns rausgeworfen haben, ziehen wir weiter, in den nächsten Puff. 

Sie werden uns jagen. Aber sie kriegen uns nicht. 

Sie wollen wissen, wer wir sind. 

Die Phantominnen der Puffs. Wooo! Wir werden stadtbekannt. 

Wir werden berühmt. 

Wir sind überwältigt von unserer Idee. 

Ich frage meine Freundin, wie es in einem Puff aussieht. Sie sieht mich an, als hätte ich ihr in den Sekt gespuckt. Typisch Westfrau. Tut so, als wäre sie Bordell-Expertin und hat keinen Schimmer, wie es dort überhaupt aussieht. 

Ich erzähle von dem französischen Film, dessen Titel ich allerdings vergessen habe. Ich weiß nicht einmal, wer der Schauspieler war. Es war weder Michel Piccoli noch Jean-Louis Trintignant, auch nicht Delon. Meine Freundin kennt weder Piccoli noch Trintignant. Von Delon hat sie gehört. 

Ich kann es nicht fassen. Sie kennt eigentlich alle und jeden. Hast du nicht ferngesehen? 

Klar, aber doch keine Ostsender. 

Wir beschließen, dass es in einem Puff ein Foyer geben muss mit einem Tresen, und dass in diesem Raum wartende Männer abhängen, die wir belästigen können. 

Wir brauchen genial gute Masken. Inspiriert vom venezianischen Karneval? 

Eine Perücke macht es auch, falsche Wimpern und krasse Schminke, sagt meine Freundin. Aber was ziehen wir an? 

Gute Frage. In meinem Kleiderschrank hängen nur Sachen, die mich auf den ersten Blick als Schriftstellerin entlarven. 

Wir brauchen was Abgefahrenes, sagt meine Freundin. Wir könnten so tun, als seien wir Prostituierte, die sich bewerben, schlägt sie vor. 

Du denkst an Glitzerfummel? Habe ich nicht. Wir könnten uns als Freier verkleiden, ohne zu verstecken, dass wir Frauen sind, verstehst du? Anzug und Krawatte, die Krawatte gainsbourgmäßig, so ein Strick. Du weißt schon. 

Meine Freundin weiß es nicht. Immerhin kennt sie Serge Gainsbourg. Ich zeige ihr das berühmte Foto. Oder so birkinmäßig, mit Kaschmirpulli und Jeans. In diesem Look können wir gut flüchten. Das wäre praktisch. Ich muss plötzlich an die Szene aus dem Film „Das wilde Schaf“ denken, in der Trintignant Jane Birkin im Stundenhotel schlägt, nachdem sie sich ausgezogen hat. Die Szene bereitet mir jedes Mal Schmerzen, aber Birkin verkörpert perfekt Ekel, Scham und Wut. Trintignant ist in diesem Film ein armer Hund, der seinen Schmerz an einer Frau auslässt.

Meine Freundin findet, dass High Heels ein Muss für den Auftritt sind. Wenn wir keine Prügel beziehen wollen, müssen wir aussehen wie Frauen, sagt sie. 

Wir besitzen beide keine High Heels. Meine Freundin googelt Kostümverleihe, Theaterfundi und Läden. 

Wir müssen unsere Rollen klar definieren, sage ich. 

Gott, du klingst wie eine Lehrerin, sagt meine Freundin. Zuerst einmal sind wir gefährlich. 

Provokant, ergänze ich. 

Wir machen sie fertig, sagt meine Freundin.

Wir sollten nicht übertreiben, mahne ich. Denk dran! Männer sind auch Menschen. 

Die Augen meiner Freundin werden zu schmalen Schlitzen. Hast du etwa Mitgefühl mit Typen, die in den Puff gehen? Vergiss nicht! Es ist eine Frage der Macht.

Ich sehe die traurigen Augen von Philippe Noiret, in dem Film, in dem er eine Prostituierte in sein privates Sado-Maso-Studio einlädt. Er will gern brutal sein, aber er ist kein harter Typ. Er schildert der Prostituierten, was er mit den Geräten und ihr machen will, aber er tut es nicht. Einmal fesselt er sie halbherzig, aber die meiste Zeit sitzen sie zwischen all den Instrumenten und reden. Er blickt sie melancholisch an, völlig von ihr gefesselt. 

Als die Flasche Cava leer ist, diskutieren wir noch immer das Kostüm für unseren Auftritt, und als das Trespassers schließt, reden wir auf der Straße weiter. Ich mag keine High Heels und Glitzerfummel, kann meine Freundin aber weder vom Birkin- noch vom Gainsbourg-Look überzeugen. Die Wirkung von Tequila und Cava hat nachgelassen. Im Morgengrauen dämmert uns, dass es eine Schnapsidee war. Wir erklären unsere Intervention im Puff für gescheitert. Wir haben nichts anzuziehen. 

Eine Frau. Drei Männer.

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Robi saß mit einer halben Pobacke auf der Liege für die Patienten, die Hände in den Taschen seines weißen Kittels. Ich hatte nicht damit gerechnet, ihn hier in der Notaufnahme zu treffen. Als er mich erkannte, lächelte er, wie er immer lächelt, wenn wir uns unverhofft irgendwo in der Stadt begegnen. Wenn Robi lächelt, bilden sich Grübchen in den Flächen seiner weißen Wangen und seine blauen, mandelförmigen Augen formen sich zu Halbmonden. Seit Jahren bin ich in ihn verliebt. Wie geht’s, sagte Robi und baumelte mit dem Spielbein. Gut, sagte ich. Er sah mich an und lächelte. Immer sehen wir uns an und lächeln und können nicht mehr damit aufhören.

Wie geht es dir?

Gut. Er lächelte.

Ich wusste nicht, dass du hier arbeitest.

Seit einem halben Jahr.

Gefällt es dir?

Ich bleibe nicht hier. Ich gehe in die Chirurgie. Lächelnd. Ich hatte Lust, ihn zu küssen. Er hat die schönsten Lippen, die ich je gesehen habe.

Und du? Was kann ich für dich tun? fragte Robi. Meine Knie wurden weich wie Watte. Ich musste mich auf der Patientenliege abstützen. Warum bist du hier? fragte Robi. Ich hörte auf zu lächeln. Weiterlesen

Steig auf mein Pferd!

Es kann so viel schiefgehen beim Küssen, viel mehr als beim Sex, aber wenn er die richtige Temperatur hat, geschmacksneutral und frisch ist, dann können mit einem vollendeten Kuss die wundervoll-verheerendsten Affären beginnen.

Nora Marleen. Küssende Masse

Illustration: © Nora Marleen https://noramarleen.de

Von Zeit zu Zeit treffe ich meine Freundin im Trespassers auf ein oder zwei Gläser, bei denen wir die Neuigkeiten austauschen. Seit einiger Zeit wird der Ton zwischen uns rauer. Die Themen sind andere als noch vor Jahren.

Es geht jetzt oft um Kindererziehung, Jobsuche und andere anstrengende Dinge. Außerdem platzt meine Freundin neuerdings gern mit schockierenden Geschichten raus, die sie wer weiß wo aufgelesen hat, wahrscheinlich bei den Dachpartys ihrer Firma: von Bordellbesuchen ihres Chefs, der shoppingsüchtigen Tochter einer Kollegin, einem Fahrradfahrer, der nachts durch unser Viertel fährt und Frauen Säure ins Gesicht schüttet und der Pornoseite, die unvermittelt aufploppte, als ihre zehnjährigen Zwillinge für die Hausaufgaben im Netz recherchierten. Detailliert schilderte meine Freundin alle verstörenden Details, die auf der Seite zu besichtigen waren.

Mein Eindruck ist, dass sie mir sagen möchte, wie unsicher das Leben in einer kriminellen Gesellschaft geworden ist, in der selbst die Liebe (früher unser Lieblingsthema) zu einem Business verkommen ist. In einer Welt wie dieser nämlich hat die ungemütliche Lebenspartnerschaft, an der sie seit Jahren der Kinder wegen festhält, ihre volle Berechtigung, ja, sie kann unter solchen äußeren Bedingungen geradezu als Glückstreffer gesehen werden. Ich habe ihr immer wieder geraten, ihren Freund zu verlassen. Er respektiert sie nicht und sieht nicht, was für ein wunderbarer Mensch meine Freundin ist. Vielleicht war meine Ratschläge zur Trennung etwas übergriffig, Weiterlesen

Hüterinnen des Feuers

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mona lisa 2016

Ich bin auf einer Hochzeitsfeier. Es ist ein warmer Abend. Auf der Spree ziehen Boote und Schiffe vorüber. Die Terrasse des Restaurants liegt auf Höhe des Flussspiegels. Es ist, als wären wir selbst auf einem Schiff.

Ich fühle mich ein bisschen verloren. Das Brautpaar ist beschäftigt und die meisten Gäste kenne ich nur flüchtig.

Wenn ich früher in eine Gesellschaft kam, in der ich niemanden kannte, ließ ich mich mit den Erstbesten in ein Gespräch ein und plapperte gegen die Langeweile nichtiger Themen an, bis ich völlig erschöpft war.

Heute gehe ich anders vor. Ich ziehe mich zurück und beobachte die Gesellschaft. Wenn mir jemand gefällt oder etwas hat, das mich neugierig macht, pirsche ich mich an. Weiterlesen